Davina
Schwester.
»Bleibt nicht so lange draußen«, riet ihr Vater. Er wirkte verlegen. »Es ist schon spät, und ich möchte das Haus abschließen.«
Sie steuerte Sasonow aus dem Zimmer. An der Terrassentür ließ sie seinen Arm los.
»Hoffentlich nehmen Sie es mir nicht übel«, sagte sie. »Ich dachte, ich müßte Sie befreien. Vater und Charley zusammen können so besitzergreifend sein.«
»Ich mag Ihren Vater gern«, sagte er. »Wir haben uns über Politik unterhalten, nachdem Sie das Esszimmer verlassen hatten. Er ist ein erstaunlicher Reaktionär; es hat mich außerordentlich interessiert.«
»Er ist ein eingefleischter Konservativer«, sagte Davina. »Von seinesgleichen sind nicht mehr viele übrig. Und ich fürchte, Charley will nur flirten.« Die Worte kamen ihr unwillkürlich über die Lippen.
Sie standen auf dem Gang; sie hatte die Terrassentür noch nicht aufgemacht. Sasonow drückte die Klinke nieder.
»Sie haben gesagt, wir würden einen Spaziergang machen«, erinnerte er sie.
»Das war nur eine Ausrede«, meinte sie, »Sie müssen nicht unbedingt hinausgehen.«
»Aber ich täte es gern«, sagte er, »auf frische Luft schlafe ich gut.«
Es war Vollmond, und in dem gleißenden Licht schimmerte der Garten silbrig und schwarz. Er ging neben ihr über die mit Steinen belegten Pfade um die Blumenbeete herum. Die Nacht war still, ohne jedes Geräusch. Sie berührten sich nicht; es gab keine Stufen, und sie konnten den Garten ganz deutlich erkennen.
»Hoffentlich war das eine gute Idee, hierher zu kommen«, sagte Davina schließlich. »Wenn Sie morgen schon früh abreisen wollen, kann ich eine Entschuldigung finden …«
»Ich fühle mich sehr wohl«, antwortete Sasonow. »Es ist für mich eine ganz neue Welt. Ich finde sie interessant. Ihre ganze Lebensart ist anders – was Ihre Familie denkt und worüber man spricht, die Sitten und Gebräuche. Für einen Russen ist es wie ein anderer Planet.«
»Ich wollte Ihnen etwas von den Lebensgewohnheiten in England zeigen«, sagte sie ruhig. »Sie und Ihre Frau und Ihre Tochter könnten hier auf dem Lande einen Platz zum Leben finden. Oder in einer Stadt, wenn es Ihnen lieber wäre. Sie könnten hier alle glücklich werden. Und Sie wären frei.«
Er blieb stehen und schaute auf sie hinab. »Ich wüsste gar nicht, was ich mit Ihrer Freiheit anfangen sollte. Das gleiche gilt für meine Frau und mein Kind. Wir Russen sind nie frei gewesen. Wir brauchen eine starke Hand über uns, wenn wir glücklich sein wollen. Aber das verstehen Sie nicht. Sie würden auch nicht verstehen, daß Männer wie Ihr Vater in Russland nicht über die Regierung sprechen. Das haben sie nie getan. Weder unter den Zaren noch jetzt.«
»Sie verschließen sich. Sie sind voreingenommen, weil mein Vater nach dem Essen mit Ihnen über Politik geredet hat.«
Sasonow protestierte. »Das ist nicht wahr, ich hatte so etwas erwartet. Ich habe politische Diskussionen ganz gern; aber das Gespräch bot für mich keinerlei Herausforderung, keinerlei Risiko.«
»Das verstehe ich nun wieder nicht«, sagte Davina. »Ich finde es gar nicht lustig, wenn man Angst davor haben muß, seine Meinung zu sagen, und ich glaube, Ihnen geht es nicht anders. Sie sind einfach ein Scheusal!« Sie standen sich auf der Mitte des Weges gegenüber.
»Und Sie wollen einen Streit vom Zaun brechen«, sagte Sasonow. »Warum?«
Weil es nicht so läuft, wie ich es mir gedacht hatte, wollte sie sagen: Weil es ein Fehler war, Sie hierher mitzunehmen. Sie haben erkannt, daß Sie oder Ihre Familie nicht ins englische Leben passen … Und ich weiß, daß Sie mit meiner Schwester ins Bett gehen werden, bevor das Wochenende vorüber ist, wenn ich Sie nicht vorher wieder von hier wegbringen kann. Und das kann ich nicht ertragen … Eine Wolke schob sich vor den Mond. Plötzlich standen sie im Dunkeln.
»Ich gehe wieder hinein«, sagte sie. »Hoffentlich schlafen Sie gut. Vielleicht sind Sie morgen besser aufgelegt.«
Sie begann, sich von ihm zu entfernen. Sie stolperte prompt über die Wegeinfassung. Sie hörte ihn hinter sich lachen. Er ergriff sie am Ellbogen.
»Seien Sie nicht töricht«, bat er, »Sie sehen doch nichts.«
»Sie auch nicht!«
»Ich bin aber nicht gestolpert«, bemerkte er. Sie versuchte, sich von ihm zu lösen, aber er hielt sie fest. Sie schritten langsam und vorsichtig auf die erleuchteten Fenster des Hauses zu. Dann erschien der Mond wieder, und sie riß sich von ihm los. Er versperrte ihr den Weg
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