Davina
zum Haus. Sie konnte sein Gesicht nicht sehen.
»Warten Sie, Vina. Gehen Sie nicht hinein. Ich vermisse meine Frau«, sagte er gedehnt. »Mehr denn je. Ich möchte heute nacht nicht allein sein.«
Sie antwortete, bevor sie sich eines anderen besinnen konnte. Sie fühlte sich leer und versteinert. »Das werden Sie auch nicht, so wie ich meine Schwester kenne.«
Er legte ihr beide Hände auf die Schultern.
»Ich will Ihre Schwester gar nicht«, sagte Sasonow.
Eine kleine Uhr stand auf ihrem Frisiertisch; sie hatte Leuchtziffern, und die Zeiger standen auf fünf Minuten vor drei. Es war unmöglich, zu zweit in ihrem schmalen Bett zu schlafen. Sie hatten beide eine Zeitlang im Halbschlummer dagelegen, waren dann aber wieder aufgewacht.
Sie hatte sich in ihrem ganzen Leben noch nie so erschöpft gefühlt. Sie hatte mit ihrem Verlobten, Richard, geschlafen und den Sex als letzte Erfüllung empfunden. Es war viel echte Liebe, wenigstens von ihrer Seite, dabei im Spiel gewesen. Aber es war nur eine kümmerliche Vorbereitung für die Nacht mit Sasonow gewesen. Sie wollte nicht an Richard denken, aber er kam ihr trotzdem in den Sinn, und während sie in den kräftigen Armen des Russen lag, erschien ihr Richard in der Erinnerung als ein bescheidener Liebhaber. Das war eine merkwürdige Offenbarung, und die Konsequenzen waren höchst beunruhigend. Sie würde morgen darüber nachdenken, beschloß sie, und dann fiel ihr ein, daß morgen bereits heute war, und der Mann neben ihr regte sich und wurde wieder aktiv.
Sasonow hatte sich über sie gebeugt und küßte sie. »Fühlst du dich nicht wohl?«
»Mir ist, als wäre ich von einem Bus überfahren worden.« Sie lachte leise. »Das tut mir leid. Bin ich ein so schlechter Liebhaber?«
»Nein, nein, nein – du brauchst dich nicht zu entschuldigen. Ich habe nur noch nie einen so stürmischen Liebhaber gehabt. Ich finde das sehr schmeichelhaft.«
Sie schlang die Arme um seinen Hals. In der Dunkelheit konnte sie ihn nicht sehen. Sie küßte ihn. »Ich bin wahnsinnig glücklich«, sagte sie. »Jede Frau sollte jemanden wie dich als Weihnachtsgeschenk bekommen.«
Oh, Brigadier Graham, dachte sie plötzlich, wenn du mich jetzt sehen könntest … und meine reizende Schwester, die in Betten hinein- und wieder heraushüpft, wie eine heiße Kastanie auf dem Bratrost.
»Du kannst hier nicht schlafen, willst du in dein eigenes Bett zurückgehen?«
»Nein«, sagte Sasonow, »ich möchte gern reden. Hinterher rede ich immer gern. Hast du etwas dagegen?«
»Natürlich nicht.« Davina streckte den Arm aus und schaltete die Nachttischlampe an. Er blinzelte, reckte sich über sie und schaltete sie wieder aus.
»Das ist scheußlich«, sagte er, »ich ziehe die Vorhänge zurück, wenn du Licht haben willst.«
Der Himmel war wolkenlos, und der Mond schien hell ins Zimmer. Sein nackter Körper wurde zu Silber. Sie machte ihm soviel Platz wie möglich, und er kam wieder ins Bett zurück.
»Worüber möchtest du sprechen?« fragte Davina. Ihr Körper führte ein eigenes, wohliges Leben und schien die Erschöpfung zu genießen. Jetzt war ihr Verstand plötzlich wieder da …
»Möchtest du eine Zigarette?« fragte sie ihn.
»Nein. Das nächste Mal werden wir Wodka im Zimmer haben. Dann können wir zusammen etwas trinken. Das tut sehr gut, es wird dir gefallen.«
»Ich werde welchen besorgen«, versprach sie. Sie wartete, ohne die Initiative zu ergreifen.
»Jacob Belezky war mein Freund seit unserer Kindheit«, sagte Sasonow plötzlich. »Wir gingen in dieselbe Dorfschule, und ich wollte seine Schwester heiraten, als ich vierzehn war. Wusstest du das, Vina?«
»Nein«, sagte sie. »Ihr seid also zusammen aufgewachsen?«
»Er war sehr klug, klug wie ein Jude, wie man in Russland sagt. Er ging auf die naturwissenschaftliche Fakultät in Moskau, während ich politische Wissenschaften in Leningrad studierte. Seine Schwester wurde Ärztin und eröffnete eine Praxis in Moskau. Ich bin oft mit ihr ausgegangen, bevor ich meine Frau kennen lernte.« Er hatte das Gesicht von ihr abgewandt und schaute zum Fenster.
»Ich wußte nicht, daß ihr euch so nahe standet«, sagte sie.
»Ich glaube, das wußte niemand. – Er wurde Physiker«, fuhr Sasonow fort. »Er war hochbegabt und hatte eine glänzende Laufbahn vor sich. Er wurde nach Moskau versetzt, wo ich im Außenministerium tätig war. Wir erneuerten unsere alte Freundschaft. Auch unsere Frauen waren miteinander befreundet. Er kam oft in
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