Davina
ganz jung war und mit irgendeinem Verehrer, der bereits ungeduldig vor der Eingangstür wartete, auf eine Party oder auf einen Ball ging. Sie begriff – zu ihrem eigenen Unglück – nicht, daß es die Wahrheit war.
Sie verabschiedete sich nur flüchtig von Davina. Sie und der Pole hockten mit den Teetassen in der Hand vor dem Feuer, und einen Augenblick lang fühlte Charley sich als Eindringling. Sie ging nicht zu Davina, sondern sie blieb im Türrahmen stehen, wobei sie ihr erstaunlich gutes Aussehen voll zur Geltung brachte. Die hübsche Reisende, die gerade an Bord geht, in der einen Hand den Koffer, die andere Hand zum Abschiedsgruß erhoben. Die beiden wandten sich voneinander ab und sahen sie an. Irgendwie umgab sie ein Hauch von Intimität, obwohl sie weder nebeneinander saßen noch einander berührten. Der Pole stand auf, trat aber nicht auf sie zu, wie es die meisten Männer taten, weil sie beim Abschied noch einmal ihre Hand halten wollten. Er stand da als dunkle Silhouette, den Rücken dem Feuer zugekehrt, und der Lampenschein beleuchtete ihn von hinten. Er wirkte gedrungen, beinahe bedrohlich, und er war nicht mehr die leichte Beute, als die sie ihn zuerst eingeschätzt hatte. Im Gesichtsausdruck ihrer Schwester lag etwas Geheimnisvolles, beinahe Triumphierendes.
»Auf Wiedersehen«, sagten sie nacheinander. Sie antwortete mit einer Fröhlichkeit, die sie nicht empfand, und machte schnell die Tür hinter sich zu.
»Na«, sagte Davina laut, »das war aber ein kurzer Besuch. Sie muß in London irgendeinen armen Teufel in den Krallen haben. Wie wär's mit einem Drink?«
Sasonow legte schwer seine Hand auf ihre Schulter. Seine Finger taten ihr weh. »Lass uns hinaufgehen«, sagte er.
Normalerweise ging Jeremy Spencer-Barr schönen Frauen aus dem Weg. Er fühlte sich in ihrer Gesellschaft unbehaglich, da sie erwarteten, er müsse sich von ihnen angezogen fühlen. Er verbrachte die erste halbe Stunde auf der Cocktailparty an diesem Abend im Gespräch mit einem Mann, der in einer Handelsbank in der City tätig war, und er bat Mary, ihn mit einem geckenhaften Finanzier bekannt zu machen, der häufig in der Zeitschrift ›Private Eye‹ erwähnt wurde. Er suchte Kontakte und Informationen, wo immer er sich gerade aufhielt, und speicherte auch die nebensächlichsten Nachrichten für den Fall, daß sich Verbindungen zu anderen Betrieben ergeben sollten. Sein konspiratives Denken wurde beflügelt durch Bemerkungen, die der Bankier über den Finanzier machte, und durch Gerüchte, daß dieser an Waffengeschäften aus Amerika zugunsten der IRA beteiligt sei.
»Ach, da ist ja Charley Ransom«, sagte Mary und zupfte ihn am Ärmel. »Ich werde sie dir lieber nicht vorstellen, sie ist ein männerfressendes Ungeheuer.«
Jeremy blickte hinüber zu der Frau, die gerade hereingekommen war. Er mochte rote Haare nicht, aber sie war auffallend hübsch. Die Bemerkung ›männerfressend‹ machte sie ihm nicht gerade sympathisch.
»Mach dir um mich keine Sorgen«, sagte er.
»Ihre Schwester arbeitet auch im Ministerium«, sagte Mary. »Es gab einen ziemlichen Skandal in der Familie Graham, als Charley ihrer Schwester den Verlobten ausspannte.«
»Sagtest du Graham?« fragte er.
»Ja, sie hieß Charlotte Graham, bevor sie heiratete. Ich habe ihre Schwester nie kennen gelernt; sie soll eine sehr tüchtige Sekretärin sein. Komm, mein Lieber, natürlich stelle ich sie dir vor – es war nur ein Scherz.«
»Wenn du willst«, meinte Jeremy beiläufig.
Er folgte Mary und stand dann vor der schönen Frau mit den Haaren, die er nicht mochte. Mehrere Männer standen um sie herum. Er sah, wie Mary sie küßte; das war eine Gewohnheit, die er nie begriff. Er verabscheute den Kuß bei gesellschaftlichen Anlässen zwischen Männern und Frauen: Zwischen zwei Frauen empfand er ihn entweder als Heuchelei oder als belanglos.
»Jeremy Spencer-Barr – Charlotte Ransom.«
»Charley, bitte«, sagte die Frau, »Charlotte klingt so geschwollen.«
Sie schenkte ihm ein strahlendes, freundliches Lächeln …
Graham, tüchtige Sekretärin im Verteidigungsministerium. Er wollte sich nur vergewissern … Im Geiste dachte er an Davina Graham und stellte sie sich vor, wie sie damals bei der einzigen Gelegenheit, wo sie sich getroffen hatten, ausgesehen hatte. Er fand keine Familienähnlichkeit mit Charlotte Ransom. Abgesehen natürlich von den Haaren. Nicht so rot und so voll, aber ähnlich in der Farbe. Dunkler, eher rotbraun.
»Wie
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