Davina
ihren Tee und hielt den Kopf gesenkt wie eine alte, erschöpfte Frau. Irina trat zu ihr und legte die Arme um den Hals. »Mütterchen«, flüsterte sie, »ich liebe dich. Wir haben ja noch uns beide. Wir werden es schon schaffen.«
Um fünf Uhr morgens, kurz vor Sonnenaufgang, wurde Fedja Sasonow von dem zu Tode erschrockenen Hausmeister des Wohnblocks geweckt. Zwei Männer standen drohend hinter ihm in der Schlafzimmertür. Sie stand auf und zog sich an, dann stopfte sie ein paar Kleidungsstücke in eine Plastiktasche. Irina erwachte, als sie bereits gingen. Noch ganz verschlafen öffnete sie ihre Tür und sah die Gestalten in dem schmalen, beleuchteten Korridor. Nur ganz kurz sah sie das bleiche Gesicht ihrer Mutter, bevor diese hinausgeschoben wurde und die Eingangstür hinter ihnen zuschlug. Die Trennwände zwischen den kleinen Mietwohnungen waren dünn, und die Nachbarn hörten Irina weinen. Niemand kam, um sie zu trösten.
7
Jeremy Spencer-Barrs Koffer waren gepackt und mit kleinen Schildchen versehen. Er hatte Empfehlungsschreiben bei sich und die Einführungspapiere für seinen neuen Posten bei der UNO. Alles war fertig, und seine Freundin Mary wollte ihn zum Flughafen fahren. Er war noch einmal ins Arbeitszimmer von Humphrey Grant gebeten worden, und er erwartete letzte Instruktionen. Er war zuversichtlich und entschlossen, Grant zu beeindrucken. Er hielt ihn für den wichtigsten Mitarbeiter im Service, nach dem Brigadier persönlich. Anders als seine Kollegen nannte er ihn hinter seinem Rücken nicht den ›Unbestechlichen‹. Er beteiligte sich auch nicht an so kindischen Scherzen wie zum Beispiel der Zeichnung einer Guillotine am Rand einer seiner Aktennotizen – das war Peter Harringtons Niveau.
Grant blickte auf, als er eintrat, und lächelte dünn. Spencer-Barr setzte sich und wartete. Grant blätterte in den Akten. Dann legte er sie zu einem geordneten Haufen zusammen und sagte: »Ich nehme an, Sie haben bereits fix und fertig für New York gepackt?«
»Ja«, antwortete Jeremy eifrig, »ich fliege morgen.«
»Hm«, meinte Grant, »tut mir leid, aber wir haben beschlossen, Sie nicht dorthin zu schicken.«
Spencer-Barr starrte ihn an. Er war so fassungslos, daß er nach Worten rang. »Ich reise nicht? Aber warum? Warum denn nicht?«
»Weil der Brigadier einen anderen Job für Sie hat«, sagte Grant. »Wir schicken jemand anders nach New York.«
»Harrington – geht er wieder hin?«
»Nein«, sagte Grant. »Er geht im Augenblick nirgendwohin. Jemand von der Botschaft in Washington wird zur UNO versetzt. Wir glauben, daß Sie hier von größerem Nutzen sein können.« Er sah den Mann auf der anderen Seite des Schreibtisches an und merkte, daß sich in die Anzeichen von Ärger und Erstaunen ein Anflug von Misstrauen mischte.
»Aber eines muß ich wissen, Sir. Ist dies eine Degradierung? Habe ich etwas Unrechtes getan?«
»Im Gegenteil«, sagte Grant liebenswürdig. »Wir haben im Augenblick anderes für Sie im Sinn als kleine Spielchen mit Kontakten hinter dem Eisernen Vorhang. Harrington hat sie immer für wichtiger gehalten, als sie tatsächlich waren. Ich kann Ihnen versichern, daß diese Umplanung mit Ihnen persönlich nichts zu tun hat. Ganz im Gegenteil.«
»Gott sei Dank!« sagte Spencer-Barr. Er hatte sich wieder in der Hand. »Wann erfahre ich, welches meine neue Aufgabe sein wird?«
»In ein oder zwei Wochen«, erwiderte Grant. »Sobald die Einzelheiten festliegen. Inzwischen schlage ich vor, daß Sie im Sprachzentrum Ihre Russischkenntnisse aufpolieren.«
Er ließ Spencer-Barr keine Zeit für weitere Fragen. Er stand auf und sagte kurz: »Das wär's. Falls Sie durch die Streichung der Reise in die USA irgendwelche Unkosten gehabt haben, reichen Sie sie ein. Ich werde dafür sorgen, daß sie Ihnen erstattet werden.«
»Vielen Dank«, sagte Spencer-Barr.
Er drehte sich um und ging. Draußen auf dem Gang blieb er einen Augenblick stehen. »Russisch«, sagte er leise vor sich hin. »Das ist ein dicker Hund …« Dann ging er weiter und beschleunigte seine Schritte und sah irritiert, daß ihm Peter Harrington entgegenkam. Einen kurzen Augenblick starrten sie sich an, unverhohlen feindselig.
Dann sagte Harrington mit seinem unverschämten Lächeln: »Ach, Sie sind wohl noch nicht abgereist, mein Lieber?«
»Nein«, erklärte Spencer-Barr. Harrington blieb stehen, und es war unmöglich, an ihm vorbeizukommen, ohne ihn beiseite zu schieben. Ihm fiel auf, daß der Ältere weniger
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