Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
"Davon haben wir nichts gewusst!"

"Davon haben wir nichts gewusst!"

Titel: "Davon haben wir nichts gewusst!" Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P Longerich
Vom Netzwerk:
Zusammenhang bestand, wurde in der Presse sogar expliziert herausgestellt. So kommentierte Der Angriff am 27. März 1942 die Einführung der Zwangsarbeit für Juden in der Slowakei wie folgt: »Die Arbeit ist für den Juden wirklich die schwerste Strafe. In Frankreich, auf dem Balkan, in Norwegen, überall hat man jetzt erkannt, welche Schmarotzer die Juden für Europa waren. Jetzt wird ihnen nichts weiter als die Rechnung überreicht.« Je umfassender und offenkundiger die Deportationsbewegungen, desto größer das Mitteilungsbedürfnis der Presse. Daraus erklärt sich auch, warum etwa die Krakauer Zeitung im Jahre 1942, als die Ghettoliquidierungen und Deportationen im Generalgouvernement im großen Stil durchgeführt wurden, darauf zwar immer wieder hinwies, 48 aber weitaus mehr über die Situation der Juden im übrigen besetzten Europa, in Rumänien, Ungarn, Kroatien, Frankreich, den Niederlanden, Belgien und Norwegen, zu sagen hatte: Die Zeitung bemühte sich vor allem darum, ihrer primären Zielgruppe, den deutschen Lesern im Generalgouvernement, denen die Eskalation der Judenverfolgung in Polen ohnehin nicht verborgen bleiben konnte, den europaweiten Kontext der »Judenpolitik« zu verdeutlichen. Da die Zeitung jedoch auch im Reichsgebiet verbreitet wurde, erreichten diese Informationen über die ursprüngliche Zielgruppe hinaus einen weiteren Leserkreis. 49
    Die relative Zurückhaltung der deutschen antisemitischen Propaganda im Jahre 1942 ist im Wesentlichen auf die bewusste Verschleierungstaktik der zentralen Figur innerhalb des Propagandaapparates zurückzuführen: Goebbels. Durch die Protokolle der täglichen Propagandakonferenz des Ministers und mit Hilfe seiner Tagebücher sind wir in der Lage, diese Taktik im Jahre 1942 im Detail zu rekonstruieren.
    Goebbels, das wird hier noch einmal deutlich, war einer der Scharfmacher der NS-Judenverfolgung und nicht zuletzt durch seinen direkten Kontakt zu Hitler über den Umfang des Massenmordes unterrichtet. Die meisten seiner intern abgegebenen Stellungnahmen und Propagandaanordnungen verfolgten jedoch ganz offensichtlich vor allem die Absicht, von den tatsächlichen Zielen der deutschen »Judenpolitik« abzulenken, ohne das antisemitische Thema völlig fallen zu lassen.
    So ordnete er etwa am 5. März an, in der Presse eine Meldung des Daily Express über angeblichen jüdischen Schwarzhandel in Großbritannien aufzugreifen und sie so zu kommentieren, dass man sie als Rechtfertigung der nun bereits ein halbes Jahr zurückliegenden Kennzeichnung verstehen musste: »Es gibt vielleicht hier und da noch einige zurückgebliebene Intellektuelle im deutschen Volk, die der Ansicht sind, dass die Maßnahmen gegen die Juden zu hart seien. Aber wir haben die Wahl, den Juden entweder einen gelben Stern anzuheften, oder sie als Lebensmittelund Kupferschieber im Lande herumlaufen zu lassen. Das letztere aber darf bei uns nicht vorkommen. Darum haben wir die Juden unter Kuratel gestellt und wehe, wenn sich einer von ihnen gegen die Staatsinteressen versündigt! Ein Zwischending gibt es nicht; entweder nehmen wir die Juden an die Kandare, oder wir lassen sie als Lebensmittelschieber herumvagabundieren. Es soll doch niemand glauben, dass die Juden im Lande sich heute in Sehnsucht nach ihrem ›lieben deutschen Vaterland‹ verzehren; in Wirklichkeit betätigen sie sich als Lebensmittelschieber.« 50 In seinem Tagebuch äußerte er sich allerdings über den gleichen Vorgang weit drastischer; im Vergleich mit der englischen Vorgehensweise sei die deutsche Methode – die Juden zu kennzeichnen, in Konzentrationslager zu stecken oder zu erschießen – »die zweckmäßigste und erfolgreichste«. 51
    Tatsächlich war Goebbels über den inzwischen begonnenen systematischen Massenmord an den Juden gut informiert. Am 6. März – im unmittelbaren Anschluss an seine Tagebucheintragung über die englische Einstellung zur »Judenfrage« – notierte er anlässlich eines SD-Berichts über die Lage im besetzten Russland, es sei seine Auffassung, dass »je mehr Juden während dieses Krieges liquidiert werden, desto konsolidierter die Lage in Europa nach dem Kriege sein wird. Man darf hier keine falsche Sentimentalität obwalten lassen. Die Juden sind das europäische Unglück; sie müssen auf irgendeine Weise beseitigt werden, da wir sonst Gefahr laufen, von ihnen beseitigt zu werden.«
    Am kommenden Tag hielt er in seinem Tagebuch fest, ihm liege eine »ausführliche Denkschrift des SD und

Weitere Kostenlose Bücher