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"Davon haben wir nichts gewusst!"

"Davon haben wir nichts gewusst!"

Titel: "Davon haben wir nichts gewusst!" Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P Longerich
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Zusammenhang stehen, befasst, sondern man muss die Frage des Antisemitismus, überhaupt die Frage des Judentums, in den großen Zusammenhang der gegenwärtigen europäischen Auseinandersetzung bringen.«

Goebbels und die Deportation der Berliner Juden
    Die Tagebücher des Propagandaministers zeigen jedoch, dass sich Goebbels während des Jahres 1942 weit intensiver mit der »Judenfrage« beschäftigte, als seine Propagandarichtlinien verraten; seine diversen Treffen mit Hitler benutzte er immer wieder dazu, sich und seinen Führer in ihrem gemeinsamen antisemitischen Hass zu bestärken. Da eine offene propagandistische Begleitung der Mordpolitik nicht opportun erschien, konzentrierte Goebbels sich vor allem darauf, die Existenzmöglichkeiten der deutschen und insbesondere der Berliner Juden immer weiter einzuschränken und die Deportationen der Berliner Juden zu beschleunigen. Es zeigte sich jedoch, dass Goebbels bei der Durchführung dieser Politik in ein Dilemma geriet: Je mehr diskriminierende Maßnahmen gegen Juden verhängt wurden, desto mehr wurden sie wiederum sichtbar gemacht, und desto mehr verstärkte ihre Existenz die Gerüchtebildung um ihr Schicksal. Die einzige Lösung für dieses Problem sah Goebbels in der radikalsten denkbaren Lösung: der völligen Entfernung der Juden aus der Reichshauptstadt. Die durch das Regime dirigierte Öffentlichkeit sollte keinerlei Hinweise auf die jüdische Existenz mehr erhalten.
    Am 12. Januar 1942 gab er auf der Propagandakonferenz die Anregung, es sollten in Zukunft »an den Kiosken keine Zeitungen mehr an Leute mit Judenstern verkauft werden; ebenso wird den Juden untersagt werden, Zeitungen zu abonnieren. Der Minister beauftragt Gutterer, bei den abschließenden Besprechungen am 20.1. über die Lösung der Judenfrage diese Anregung des Ministers zur Sprache zu bringen.« 55 Der letzte Satz ist besonders bemerkenswert, ist er doch einer der wenigen existierenden Hinweise auf die Überlegungen, die innerhalb der Berliner Ministerien im Hinblick auf die Wannseekonferenz angestellt wurden. Goebbels ging also noch im Januar 1942 davon aus, es würden unter dem Stichwort »Lösung der Judenfrage« unter anderem technische Maßnahmen zur weiteren Erschwerung der jüdischen Existenz im Reich behandelt werden. 56
    In seinem Tagebuch hielt er am 5. Februar 1942 fest, die »Judenfrage macht uns wiederum sehr zu schaffen, und zwar diesmal nicht, weil wir zu weit, sondern weil wir zuwenig weit vorgehen. In großen Teilen des Volkes bricht sich doch jetzt die Erkenntnis Bahn, dass die Judenfrage nicht eher als gelöst angesehen werden kann, als bis sämtliche Juden das Reichsgebiet verlassen haben.«
    Am 1. März 1942 drängte er während der Propagandakonferenz darauf, die »Evakuierung« der Juden aus Berlin zu beschleunigen. In diesem Zusammenhang beschäftigte ihn erneut das Problem der Benutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln durch Juden. Grundsätzlich, so Goebbels, sei diese zu verbieten; nur die in der Rüstungsindustrie beschäftigten Juden sollten einen Sonderausweis erhalten, der sie dazu berechtige, »beim Schaffner um Erlaubnis zum Mitfahren [zu] bitten«. Keinesfalls, so Goebbels, »dürfen die Juden in der Straßenbahn herumstehen und nach Mitleid angeln. Wenn hinten auf der Plattform kein Platz ist, müssen sie zu Fuß laufen.« 57
    Auf der Propagandakonferenz vom 9. März setzte er nach: »Dem vom SD eingebrachten Vorschlag, den Juden, die die Straßenbahn benutzen wollen, ein weiteres Erkennungsschild anzuhängen, bezeichnet der Minister als falsch, da hierdurch nur eine neue Diskussion über das Für und Wider entstehen würde. Die Juden, die die Straßenbahn benutzen wollen, müssen im Besitz einer Ausweiskarte sein, die sie beim Lösen des Fahrscheins bezw. wenn der Schaffner auf der hinteren Plattform steht – beim Betreten des Wagens per se vorzuzeigen haben. Jeder, der zur Kontrolle berechtigt ist (Kontrolleur, Offizier, SA-Führer, Amtswalter der Partei – niemals ein Zivilist!) hat das Recht, die Juden zum Vorzeigen ihres Ausweises aufzufordern, sobald der Schaffner einer genauen Kontrolle nicht in vollem Umfange nachkommen kann. Welche Ränge im einzelnen die Berechtigung zu einer Kontrolle haben, muss noch festgelegt werden.« 58
    In der Propagandakonferenz vom 28. März gab er den Auftrag, die Juden aus dem Berliner Telefonverzeichnis zu streichen. Sein Verbindungsmann zu Partei-Kanzlei, Walter Tießler, regte sogleich bei Martin Bormann an,

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