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"Davon haben wir nichts gewusst!"

"Davon haben wir nichts gewusst!"

Titel: "Davon haben wir nichts gewusst!" Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P Longerich
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»dies auf das ganze Reich zu übertragen«. 59 Im Monat Mai erreichten Goebbels’ Bemühungen um eine Beschleunigung der Deportationen aus Berlin einen Höhepunkt. Das Attentat auf die Ausstellung »Das Sowjetparadies« im Berliner Zeughaus bot ihm einen geeigneten Vorwand, diese Anstrengungen zu verstärken, gehörten die Täter doch einer überwiegend aus Juden bestehenden Widerstandsgruppe an. 60 Seine ständigen Bemühungen lassen sich anhand des Tagebuches verfolgen.
    So schrieb er am 11. Mai 1942, es befänden sich »augenblicklich noch 40 000 Juden in Berlin. Es ist außerordentlich schwer, sie nach dem Osten abzuschieben, weil ein großer Teil von ihnen in der Rüstungsindustrie beschäftigt ist und Juden immer nur familienweise abgeschoben werden sollen. Der Rest besteht aus alten Leuten, gegen die man im Augenblick schlecht etwas unternehmen kann.« Am 17. Mai 1942 bekräftige er erneut seine Absicht, »die noch in Berlin verbliebenen Juden jetzt in größerem Umfange nach dem Osten zu evakuieren«. Er wolle versuchen, die Bestimmungen, wonach die Familienmitglieder von in der Rüstungsindustrie beschäftigten Juden nicht deportiert werden dürften, aufzuheben.
    Am 24. Mai 1942 hieß es: »Wir haben jetzt einen Club von Saboteuren und Attentätern in Berlin ausfindig gemacht. Darunter befinden sich auch die Kreise, die die Brandbombenattentate auf die Anti-Sowjet-Ausstellung unternommen haben. Bezeichnenderweise sind von den Verhafteten fünf Juden, drei Halbjuden und vier Arier […] Man sieht an dieser Zusammenstellung, wie richtig unsere Judenpolitik ist und wie notwendig es erscheint, weiter auf das radikalste hier den alten Kurs fortzusetzen und dafür zu sorgen, dass die noch in Berlin vorhandenen 40 0000 Juden, die in Wirklichkeit freigelassene Schwerverbrecher darstellen, die nichts mehr zu verlieren haben, auf das schnellste entweder konzentriert oder evakuiert werden. Am besten wäre selbstverständlich die Liquidierung.«
    Am 24. Juni 1942 ordnete Goebbels auf der Propagandakonferenz an, seine bereits ein Jahr zuvor erteilte Anweisung, ausländischen Studenten das Wohnen bei Juden zu verbieten, jetzt endgültig durchzuführen: »Diese Juden werden dann mit der Begründung, dass sie zuviel Wohnraum besitzen, aus ihren Wohnungen evakuiert werden, um irgendwo anders auf engerem Raum untergebracht zu werden.« Als Motiv für diesen Schritt nannte Goebbels die Vermutung, die jüdischen Wohnungsvermieter würden ansonsten wesentliche Informationen über die inneren Verhältnisse in Deutschland an das feindliche Ausland liefern.
    Immer wieder brandmarkte Goebbels in den folgenden Wochen »die Juden« als für den Feind arbeitende Informanten und Spione sowie als Urheber von Gerüchten und Desinformation. Als im Juli ein gefälschter Goebbels-Aufruf auftauchte, machte er »aus Berlin evakuierte Juden« dafür verantwortlich. 61 Eine Serie von Bränden rechnete er selbstverständlich »jüdischen Brandstiftern« zu und ordnete an, »dass zunächst die Einzelverpflegung der Juden abgestellt und durch eine Gesamtverpflegung, die an die jüdische Gemeinde geliefert wird, ersetzt wird. Sollte sich der Verdacht, dass das Feuer durch Juden angelegt wurde, bestätigen, so wird dieses Verbrechen zur Folge haben, dass der jüdischen Gemeinde sofort die Lebensmittel gekürzt werden. Der Minister ersucht, die Maßnahmen zur Einführung der Gesamtverpflegung der Juden nach Möglichkeit zu beschleunigen. Mit dieser neuen Regelung werden auch endlich die leidigen Schlangen der Juden vor den Geschäften verschwinden.« 62 Solange noch Juden in Berlin seien, so formulierte er in seinem Tagebuch am 23. Juli knapp, »kann man nicht von einer nationalsozialistischen Hauptstadt des nationalsozialistischen Reiches sprechen«. Erst wenn der sichtbaren Präsenz der Juden in der Stadt ein Ende gemacht worden sei, so sein Kalkül, lasse sich eine der Hauptquellen für die fortgesetzte Gerüchtebildung über das Schicksal der Juden beseitigen.
    Im September bemühte er sich erneut, die Deportationen zu beschleunigen, 63 und holte Ende des Monats und Anfang Oktober dazu noch einmal in persönlichen Gesprächen die ausdrückliche Zustimmung Hitlers ein. 64
    Anfang November stellte er auf der Propagandakonferenz fest, dass »Deutschland mit einem Spitzelsystem geradezu übersät sei, solange nicht die 40 000 Juden abtransportiert oder eliminiert seien«. Es schloss sich eine Diskussion des weiteren Deportationsverfahrens an. Ein

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