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"Davon haben wir nichts gewusst!"

"Davon haben wir nichts gewusst!"

Titel: "Davon haben wir nichts gewusst!" Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P Longerich
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aus Ungarn endgültig zu lösen« sei. 40
    Der Presse war darüber hinaus eindeutig zu entnehmen, dass die in Kroatien lebenden Juden in Lagern interniert wurden. 41 Die Krakauer Zeitung vom 7. Mai 1942 bezeichnete die »Judenfrage« in Kroatien als »gelöst«; man sehe nun »den Abschluss einer unglücklichen Periode und den Beginn einer verheißungsvolleren Entwicklung«. Wenige Tage später veröffentlichte sie das Bild einer mit dem Stern gekennzeichneten jüdischen Frau in Agram. 42
    Ferner befasste sich die Presse im Frühjahr 1942 mit der Kennzeichnung der Juden in Sofia und sonstigen Maßnahmen gegen die jüdische Minderheit in Bulgarien. 43 Der Völkische Beobachter berichtete außerdem im Juli 1942 über die Registrierung von Juden in Saloniki zum »Arbeitseinsatz«. 44 Die Krakauer Zeitung schrieb am 26. März 1942, die »Bereinigung der Judenfrage macht auch in Belgien große Fortschritte«. Es folgten nähere Angaben zur »Arisierung« jüdischen Eigentums, zur Bildung einer »Judenvereinigung« sowie zur Errichtung eines besonderen Schiedsgerichts. In einem Artikel des Angriff s vom Juli 1942 über die Einführung des Judensterns in Belgien war zu lesen, viele Flamen und Wallonen hofften, »dass Deutschland, wenn es auch nicht die vielen bei uns aus dem Reich emigrierten Juden zurücknimmt, sie doch wenigstens einige Stationen weiter befördert, damit es bald wieder sauber und freundlicher in unserem Lande aussieht«. 45
    Am 14. März 1942 erfuhr der Leser der Krakauer Zeitung aus seinem Blatt, dass künftig der Zuzug von Juden nach Norwegen gestoppt sei. Am 6. Mai berichtete die Zeitung unter der Überschrift »Judenstern auch in Holland. Das gesunde niederländische Volksempfinden setzt sich durch« über die Kennzeichnung der Juden in den Niederlanden. Im Frühjahr 1942 kommentierte die Krakauer Zeitung ausführlich den Wechsel im »Judenkommissariat« der Vichy-Regierung: Während der alte Amtsinhaber Xavier Vallat wegen seiner zu nachgiebigen Haltung gegenüber den in Frankreich lebenden Juden heftig kritisiert wurde, könne man von dem wesentlich radikaleren, Anfang Mai 1942 ernannten Nachfolger Darquir de Pellepoix endlich »scharfe Maßnahmen« erwarten. 46 Die Kattowitzer Zeitung brachte im Mai 1942 einen ausführlichen Artikel über die wirtschaftlichen Verhältnisse im Warschauer Ghetto, dem zu entnehmen war, dass dort 500 000 Menschen lebten. 47
    Wie diese Beispiele zeigen, waren in der nationalsozialistischen Presse immer wieder Hinweise auf die Verfolgung von Juden im deutsch beherrschten Europa zu lesen, wobei die Deportationen kein Geheimnis blieben. Die Berichterstattung verlief jedoch höchst uneinheitlich und sporadisch: Die Meldungen über bestimmte Maßnahmen im Ausland erschienen nie in der gesamten Presse, sondern sie waren meist auf einzelne Blätter beschränkt. Es scheint, dass sie nicht auf Grund allgemeiner Presseanweisungen des Propagandaministeriums, sondern durch gezielte Weitergabe an einzelne Redaktionen an die Öffentlichkeit kamen. Insgesamt gesehen, spielte diese Berichterstattung über antijüdische Maßnahmen zwar nur eine untergeordnete Rolle in den Zeitungen; auffällig ist aber, dass insbesondere die in den besetzten und verbündeten Ländern erscheinenden offiziellen deutschen Organe auf die Verfolgungspraxis eingingen, vorzugsweise jedoch nicht auf die im »eigenen« Land.
    Welche Absichten mag die Propaganda mit dieser »zerstreuen« Berichterstattung verfolgt haben? Es ist offensichtlich, dass diese Form sporadischer Information über die stets »im Ausland« stattfindende Judenverfolgung der offiziellen Politik gezielter Andeutungen entsprach. In dieser Form nahm die offizielle Propaganda durchaus Stellung zur Politik der Deportationen, und wer nach Antworten auf die Frage nach der Realität der »Endlösung« suchte, konnte bei aufmerksamer Lektüre der Presse zu der Schlussfolgerung kommen, dass im gesamten deutsch besetzten Europa »etwas« ins Rollen gekommen war. Den Lesern wurde verdeutlicht, dass die ohnehin »vor aller Augen« stattfindenden Deportationen kein regional oder national begrenztes Phänomen waren, sondern Teil einer koordinierten, europaweiten Aktion. Viele der hier zitierten Meldungen stammen denn auch bezeichnenderweise aus dem Frühjahr und Frühsommer 1942, also aus dem Zeitraum, in dem das europaweite *Deportationsprogramm Schritt für Schritt in Gang gesetzt wurde. Dass zwischen den Maßnahmen in den verschiedenen Ländern ein

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