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"Davon haben wir nichts gewusst!"

"Davon haben wir nichts gewusst!"

Titel: "Davon haben wir nichts gewusst!" Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P Longerich
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dieser Umstand bildete eine wesentliche Motivation für die Arbeit an diesem Buch. Es konnte nämlich erstmalig eine Reihe von umfangreichen Quellen herangezogen werden, die unser Wissen über die antijüdische Propaganda des Regimes und ihre Rezeption durch die Bevölkerung erheblich erweitern: Hier sind in erster Linie die bisher durch die Forschung nicht ausgewerteten Protokolle der täglichen Propagandakonferenzen Goebbels’ aus den Jahren 1941/42 zu nennen. 1 Sie schließen eine wichtige Lücke: Zusammen mit der erst seit kurzem vorliegenden vollständigen Version der Goebbels-Tagebücher 2 sowie den Presseanweisungen des Propagandaministeriums 3 erlauben sie eine fast nahtlose Rekonstruktion der Formulierung nationalsozialistischer Propagandarichtlinien in einem für die Judenverfolgung besonders kritischen Zeitraum.
    Ergänzt wird die Auswertung dieser internen Quellen vor allem durch eine breite Analyse von Zeitungen, die erstaunliche Diskrepanzen in der allgemein als »uniform« geltenden Presseberichterstattung in Bezug auf die »Judenfrage« aufzeigen wird. Untersucht wurden mehr als zwei Dutzend Zeitungen, davon zwei – das zentrale Parteiorgan Völkischer Beobachter und der in Berlin erscheinende Angriff , die zweitwichtigste Tageszeitung der NSDAP – fast für den gesamten Zeitraum. Die übrigen Blätter wurden für bestimmte, unterschiedlich lange Zeitabschnitte (zum Teil auch nur für Stichproben) konsultiert: Es handelte sich um eine Reihe von regionalen NS-Zeitungen, wobei der in Köln erscheinende Westdeutsche Beobachter , eine der größeren Gauzeitungen der NSDAP, besonders intensiv durchgesehen wurde; 4 daneben wurden eine Anzahl »bürgerlicher« Blätter 5 sowie zwei katholische Zeitungen 6 in die Analyse einbezogen. Für die Kriegszeit kommen noch einige in den besetzten Gebieten erschienene deutsche Zeitungen hinzu, 7 ferner die vor allem von Goebbels geförderte Wochenzeitung Das Reich . Andere Propagandamedien – soweit rekonstruierbar – wie Wochenschauen, Spielfilme, Plakate und Rundfunksendungen wurden ebenso berücksichtigt wie die alliierte Propaganda der Kriegszeit, die sich in Rundfunkprogrammen und insbesondere in Flugblättern niederschlug.
    Um zu ergründen, welche Wirkung die Propaganda entfaltete, konnte auf die von Otto Dov Kulka und Eberhard Jäckel besorgte Edition aller verfügbaren Stimmungs- und Lageberichte des Regimes zur »Judenfrage« zurückgegriffen werden, die die gesamte Forschung zur Einstellung der deutschen Bevölkerung zu diesem Themenkomplex auf eine neue Basis stellt und in dieser Arbeit erstmalig für den gesamten Zeitraum 1933 bis 1945 ausgewertet wurde. 8 Ergänzend herangezogen wurden Berichte von im Untergrund arbeitenden Widerstandsgruppen über die Lage in Deutschland, 9 eine Reihe von publizierten Tagebüchern und Briefen sowie verschiedene, recht verstreute Informationen und Beobachtungen, die außerhalb Deutschlands über die Situation unter dem NS-Regime zusammengetragen wurden. Aus grundsätzlichen methodischen Erwägungen wurden nur zeitgenössische Quellen herangezogen; Memoiren und Editionen von Erinnerungstexten wurden daher nicht berücksichtigt. 10
    Für die Fragestellung dieser Arbeit erwies es sich als außerordentlich fruchtbar, diese verschiedenen Quellenkategorien zur antisemitischen Propaganda und ihrem Widerhall in der Bevölkerung in eine strenge chronologische Ordnung zu bringen. Erst diese Zeitleiste ermöglichte es, das Auf und Ab der antisemitischen Propagandawellen präzise nachzuverfolgen, sie in Verbindung mit der Politik des Regimes zu bringen und zu verstehen, dass die in den offiziellen Stimmungsberichten erhaltenen Informationen über die Haltung und Einstellung der Bevölkerung auch als Bestandteil der vom Regime betriebenen Ausrichtung der Öffentlichkeit zu lesen sind.

Zum Forschungsstand
    Zum Thema sind seit den siebziger Jahren eine ganze Reihe von Studien vorgelegt worden. Dieser Forschungsstand soll hier unter zwei Gesichtspunkten referiert werden: Zu welchen Ergebnissen sind die Historikerinnen und Historiker, die sich mit der Reaktion der deutschen Bevölkerung auf die Judenverfolgung beschäftigt haben, gekommen? Und: Auf welcher Quellenbasis und auf Grund welcher Methode sind sie zu diesen Ergebnisse gelangt?
    Marlis Steinert, die als Erste die Einstellung der deutschen Bevölkerung während des Krieges umfassend untersucht hat, fällt die »Reaktionslosigkeit und Gleichgültigkeit des deutschen

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