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"Davon haben wir nichts gewusst!"

"Davon haben wir nichts gewusst!"

Titel: "Davon haben wir nichts gewusst!" Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P Longerich
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von Gaswagen im deutsch besetzten Warthegau schilderte. 154 Seit Oktober 1942 warf die Royal Air Force (RAF) darüber hinaus Flugblätter ab, die den Mord an Hunderttausenden von Juden zum Thema hatten. 155
    Die Deklaration der Alliierten Regierungen, die am 17. Dezember 1942 durch Außenminister Anthony Eden vor dem britischen Parlament verlesen wurde, benannte die Deportationen von Juden aus ganz Europa nach Polen und klagte die deutsche Regierung an, bereits Hunderttausende Juden ermordet zu haben. Die Deklaration fand die denkbar weiteste Verbreitung in den Nachrichtenmedien, die den Alliierten zur Verfügung standen. Die BBC brachte im Dezember 1942 in ihren fremdsprachigen Programmen eine Woche lang mehrmals täglich entsprechende Meldungen und Sondersendungen. 156
    Einige erhaltene Akten verdeutlichen, wie sehr die Leitung der BBC in diesen Wochen ihre European Services dazu anhielt, die Morde an den Juden herauszustellen. Die Anweisungen zeigen aber auch, wie sehr man sich darum bemühte, die enge Verknüpfung von Kriegführung und Mord an den Juden durch die deutsche Führung zu analysieren und daraus für die eigene Propagandalinie Konsequenzen zu ziehen. 157 »Auch wenn die Deutschen nichts gegen die Massaker tun könnten«, so heißt es in einer Anweisung vom 14. Dezember 1942, »so sei es doch gut, wenn sie sich beunruhigt und beschämt fühlten.« Es sei die Pflicht der BBC, alles zu tun, um die Massaker zu stoppen, selbst wenn dadurch die grundsätzlich angestrebte Unterscheidung zwischen Nazis und Deutschen ins Wanken geriete. Man könne, heißt es in der Anweisung weiter, »die Massaker sicherlich als Beweis dafür nehmen, dass Hitler wisse, dass das Spiel aus sei, und dass er entweder versuche, wenigstens eines seiner Kriegsziele vor seiner Niederlage zu erreichen, oder aber dass er das Kalkül verfolge, die Welt durch den Massenmord an Geiseln zu einem Kompromissfrieden zu zwingen. Es sei zumindest möglich, dass Hitler, durch seine eigene Propaganda überzeugt, tatsächlich davon ausgehe, dass seine Feinde unter jüdischer Kontrolle stünden und er hoffe, durch Erpressung der Kontrolleure den Konflikt zu beenden.«
    Wie sollte man einer solchen Strategie propagandistisch begegnen? Die folgenden Ausführungen machen deutlich, dass man auf der britischen Seite darüber nachdachte, wie man den Versuch der deutschen Führung konterkarieren konnte, die deutsche Bevölkerung zu Mitwissern und Komplizen des Verbrechens zu machen und sie auf die Alternative »Sieg oder Untergang« einzuschwören – »Strength through Fear«, »Kraft durch Furcht« lautete die britische Formel für dieses Kalkül der deutschen Führung.
    In der BBC-Anweisung vom Dezember 1942 wurde wie folgt argumentiert: Die einzige Konsequenz, die aus dem offenkundigen Wahnsinn der deutschen Politik zu ziehen sei, könne nur die Entgegnung sein, dass die Morde einen Kompromiss völlig unmöglich machten und dass sie die Aussichten der Deutschen für die Zeit nach ihrer Niederlage verschlechterten. Die Massaker seien »Vorboten der Niederlage Deutschlands und gefährdeten seine Aussichten auf Rehabilitation in der Welt nach dem Krieg«; diesen Gedanken solle die Rundfunkpropaganda betonen. Die Massaker könnten als solche nicht zur Stärkung einer »Kraft durch Furcht«-Kampagne beitragen, da sie so eindeutig Anzeichen und Ursache von Schwäche seien.
    Auch Thomas Mann versuchte in seinen Sendungen an seine deutschen Hörer das Kalkül der deutschen Führung offen zulegen, die eigene Bevölkerung durch gezielte Hinweise auf den Massenmord an den Juden und an anderen Völkern bis zum bitteren Ende an sich zu binden. 158
    Im Januar und Februar 1943 warf die RAF ein Flugblatt mit dem Titel »Massenmord« über Deutschland ab, in der die alliierte Erklärung vom 17. Dezember 1942 zitiert und die Zahl der ermordeten und deportierten Juden für verschiedene Länder aufgelistet wurden. Man müsse davon ausgehen, so der Text, dass »weit mehr als eine Million europäischer Juden bereits ausgerottet worden sind«. 159 Im Februar und März 1943 informierte ein weiteres Flugblatt die »Christen Deutschlands« über eine Predigt des Erzbischofs von Canterbury, in der dieser die »in Angriff genommene Ausrottung des polnischen Volkes« und die »grauenhafte Abschlachtung der Juden« anprangerte. 160
    Zur Rezeption der alliierten Propagandaoffensive existiert ein Bericht des deutschen Propagandaministeriums vom Dezember 1942, in dem festgestellt wird:

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