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"Davon haben wir nichts gewusst!"

"Davon haben wir nichts gewusst!"

Titel: "Davon haben wir nichts gewusst!" Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P Longerich
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hieß es in seinem Leitkommentar im Angriff : »Wer den Juden lobt, ist ein Charakterschwein, wen er beschimpft, ist ein Ehrenmann […] Leg deine sprichwörtlich gewordene deutsche Gutmütigkeit ab. Mitleid habe in deinem Herzen keinen Platz mehr, der Jude will dich zerreißen, und Jehova will dich fressen.« 29
    Auch die NS-Provinzpresse erging sich in zum Teil unverhüllten Drohungen gegenüber den für Katyn verantwortlich gemachten Juden. In der badischen Gauzeitung Der Führer schrieb der bekannte, scharf antisemitische NS-Publizist Johann von Leers 30 am 15. April, dass »in unserer tief vergifteten Welt, die buchstäblich in Gefahr ist, an Juden und am jüdischen Marxismus zu sterben, gar keine andere Lösung ist, als den Giftbrocken auszubrechen, uns des Judentums in Europa zu entledigen, das uns in diesem seinem Krieg vernichten will – wer hätte das Recht, uns dies vorzuwerfen?« Am 4. Mai drohte der Leitkommentar derselben Zeitung den »für den jüdischen-angloamerikanischen Terror Verantwortlichen […] die Stunde der Vergeltung« an: »Unter diesen Verantwortlichen aber nehmen die Juden eine Sonderstellung ein.« Es war wiederum Leers, der es in der Abendausgabe des Westdeutschen Beobachters vom 22. April fertig brachte, unter der Überschrift »Jüdische Mordlust« Katyn als moderne Form des jüdischen Ritualmords darzustellen: »Eines aber ist klar – die Juden dürsten nach dem Blut der Nichtjuden.« Der Bolschewismus, so Leers, stelle einen »riesigen Massenritualmord der Juden an den Nichtjuden« dar, und daraus zog er die Konsequenz: »Das Judentum in seiner Gesamtheit muss für diese Verbrechen haftbar gemacht werden.«
    Aber auch ehemals bürgerliche Blätter, so insbesondere die Deutsche Allgemeine Zeitung , beteiligten sich an der intensiven Propagandakampagne über Wochen mit antisemitischen Angriffen. Dabei unterschieden sich diese Zeitungen in ihren Hasstiraden in keiner Weise von den Parteiblättern, wie noch gezeigt werden wird.
    Die nähere Analyse der Katyn-Kampagne zeigt jedoch, dass die Presse erst ermahnt und belehrt werden musste, bis sie das antisemitische Leitmotiv in der erwünschten Weise ausbreitete. Die weitaus meisten Zeitungen hatten nach etwa einer Woche ihr Arsenal an antisemitischen Injurien verbraucht, das Thema begann wieder in den Hintergrund zu treten, und es bedurfte offizieller Ermunterungen, um die antisemitische Kampagne mit der gleichen Intensität wie in den ersten Tagen nach Katyn fortzusetzen. Nur der Völkische Beobachter hielt die Kampagne ohne Unterbrechung aufrecht. 31
    Angesichts dieser Erlahmungserscheinungen kann es nicht überraschen, dass sich in den erhaltenen Unterlagen des Propagandaministeriums deutliche Hinweise auf eine gewisse Unzufriedenheit mit der deutschen Presse finden. Goebbels zeigte sich in der internen Propagandakonferenz seines Ministeriums am 30. April im »Zusammenhang mit dem Kampf gegen das Judentum« darüber enttäuscht, dass »uns hierfür die notwendigen Schriftleiter fehlen, um die Aktion auch wirklich erfolgreich in der Presse durchzuführen«. Zum Teil säßen in den Redaktionen »sehr veraltete Schriftleiter«, die die antisemitische Propaganda »vorschriftsmäßig«, aber »ohne innere Anteilnahme« durchführten: »Sie erzeugen so keine Wut und keinen Hass, weil sie diese Gefühle selbst nicht besitzen.« Jede Zeitung solle fortan täglich »das Judenproblem irgendwie aufgreifen, und zwar ganz einfach und primitiv«. 32
    Der Sprecher des Propagandaministeriums monierte entsprechend in diesen Tagen gegenüber den Journalisten: »Die Presse sei viel zu zurückhaltend in diesen Fragen. Nur wenn sie einen Auftrag bekomme, sei sie für 24 Stunden bereit, so wenig wie möglich zu tun, und bemühe sich sofort, schnell wieder von jeder antisemitischen Linie herunterzukommen. Man habe den Eindruck an zuständiger Stelle, als wenn die Presse meine, das jüdische Thema sei unangenehm.« 33 Pflichtbewusst reagierte die Presse Ende April/Anfang Mai und nahm die Kampagne wieder auf. 34
    Am 7. Mai konnte Goebbels mit Befriedigung zur Kenntnis nehmen, dass Hitler anlässlich einer Ansprache vor den Reichs- und Gauleitern die offene Propagierung des Antisemitismus ganz offiziell zum »Kernstück der geistigen Auseinandersetzung« erklärt hatte: »Er hält von der antisemitischen Bewegung in England viel, wenngleich er sich natürlich klar darüber ist, dass sie keine organisatorische Form besitzt und deshalb auch machtpolitisch

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