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"Davon haben wir nichts gewusst!"

"Davon haben wir nichts gewusst!"

Titel: "Davon haben wir nichts gewusst!" Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P Longerich
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Judentums begeben, eines Tages am bolschewistischen Gift […] den Zusammenbruch und damit das Ende erleben«. 13
    Einige Wochen zuvor hatte Goebbels in einem Gespräch mit Göring festgestellt, dass auch der Reichsmarschall diese radikale Ansicht teilte: »Göring ist sich vollkommen im klaren darüber, was uns allen drohen würde, wenn wir in diesem Kriege schwach würden. Er macht sich darüber gar keine Illusionen. Vor allem in der Judenfrage sind wir ja so festgelegt, dass es für uns gar kein Entrinnen mehr gibt. Und das ist auch gut so. Eine Bewegung und ein Volk, die die Brücken hinter sich abgebrochen haben, kämpfen erfahrungsgemäß viel vorbehaltloser als die, die noch eine Rückzugsmöglichkeit besitzen.« 14
    Die »Judenfrage« und ihre radikale, mörderische »Lösung« war demnach in den Augen führender Repräsentanten des Regimes zum Kernproblem des Krieges geworden. Der Sieg war schon deswegen unabdingbar, weil ansonsten Vergeltung und Vernichtung durch den Erzfeind drohten; der Sieg konnte aber nur errungen werden, wenn es gelang, die Deutschen durch gezielte Hinweise zu Mitwissern und damit zu Komplizen des ungeheuren Verbrechens zu machen und ihre Furcht vor Vergeltung so zu schüren, dass sie sich bedingungslos in den Dienst des Totalen Krieges stellten.
    Dieses Kalkül der NS-Führung, die deutsche Bevölkerung vor die Alternative »Sieg oder Untergang« zu stellen, lässt sich in der NS-Propaganda, wie wir gesehen haben, seit der zweiten Jahreshälfte 1942 immer deutlicher nachweisen. In den Akten des Foreign Office befinden sich Aussagen eines – namentlich nicht genannten – deutschen Journalisten, der dieses innenpolitische Kalkül der NS-Führung im März 1943 während einer Schweden-Reise in einem vertraulichen Gespräch auf den Punkt brachte.
    Nach Ansicht des Journalisten war es definitiv die Politik des Regimes, Verbrechen zu begehen, um das deutsche Volk als Ganzes schuldig zu machen und alle Energien auf die Kriegsanstrengungen zu lenken. Die Generallinie laute, man habe alle Brücken hinter sich abgebrochen, und alle Deutschen säßen im selben Boot. Es existiere eine große Furcht vor den Briten und Amerikanern, weil man glaube, sie würden wegen der an den Juden begangenen Verbrechen Rache üben. Große Teile der deutschen Bevölkerung wüssten über die Verfolgung der Juden und die Zustände in den besetzten Gebieten Bescheid. Das Regime versuche, mit Hilfe des Slogans »Kraft durch Furcht« die deutsche Bevölkerung zur totalen Mobilisierung aufzustacheln. 15
    Im April sollte sich dafür eine hervorragende Gelegenheit bieten.

Katyn
    Wiederholt ordnete Goebbels Ende März und Anfang April an, die antibolschewistische und antisemitische Propaganda zu verschärfen. 16 In dieser Situation erreichten Goebbels die ersten Meldungen von den Massengräbern erschossener polnischer Offiziere in Katyn. 17 Am 9. April hielt er in seinem Tagebuch fest: »In der Nähe von Smolensk sind polnische Massengräber gefunden worden. Die Bolschewisten haben hier etwa 10 000 polnische Gefangene, unter ihnen auch Zivilgefangene, Bischöfe, Intellektuelle, Künstler usw., einfach niedergeknallt und in Massengräber verscharrt. […] Ich veranlasse, dass die polnischen Massengräber von neutralen Journalisten aus Berlin besucht werden. Auch lasse ich polnische Intellektuelle hinführen. Sie sollen dort einmal durch eigenen Augenschein davon überzeugt werden, was ihrer wartet, wenn ihr vielfach gehegter Wunsch, dass die Deutschen durch die Bolschewisten geschlagen würden, tatsächlich in Erfüllung ginge.«
    Am 14. April, nachdem er die entsprechende Erlaubnis Hitlers eingeholt hatte, notierte er, der Leichenfund werde »nun in größtem Stil in der antibolschewistischen Propaganda eingesetzt«; die deutsche Presse war bereits in den Tagen zuvor auf eine weitere Steigerung der antisemitischen Propaganda eingestellt worden. 18 National wie international sollte das Massaker nun bestmöglich ausgereizt werden. So vertraute Goebbels am 17. April seinem Tagebuch an: »Wir werden die antisemitische Propaganda so hochkitzeln, dass wie in der Kampfzeit das Wort ›Jude‹ wieder mit dem verheerenden Ton ausgesprochen wird, wie es ihm gebührt.« Und: »Besonderen Wert legt der Führer darauf, dass wir die Judenfrage in den Mittelpunkt der daran anschließenden Erörterungen hineinrücken. Das werden wir auch nach besten Kräften tun.« 19
    Befriedigt stellte er insbesondere die angebliche Zunahme von

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