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"Davon haben wir nichts gewusst!"

"Davon haben wir nichts gewusst!"

Titel: "Davon haben wir nichts gewusst!" Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P Longerich
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Antisemitismus in Großbritannien fest: »Dass wir, einer Anordnung des Führers gemäß, das Judenproblem in die Debatte geworfen haben, wirkt sich außerordentlich gut aus. Der Antisemitismus ist selbst in den Feindstaaten in rapidem Wachstum begriffen. Vor allem kommen solche Meldungen aus England. Wenn wir die antisemitische Frage mit Hochdruck weiter bearbeiten, so werden die Juden auf die Dauer arg in Misskredit geraten. Man muss hier nur Zähigkeit und Beständigkeit bewahren; denn das Judenproblem ist so festgefroren, dass es sehr schwer ist, es wieder in Fluss zu bringen.« 20
    Die Tatsache, dass während dieser Kampagne, präzise am 19. April, der Warschauer Ghetto-Aufstand ausbrach, war Wasser auf seine Propaganda-Mühlen: »Es wird die höchste Zeit, dass wir auch aus dem Generalgouvernement die Juden so schnell wie möglich entfernen.« 21
    Goebbels’ Tagebücher aus diesen Tagen zeigen deutlich, wie eng er die Katyn-Kampagne mit Hitler abstimmte. 22 Katyn sollte nicht nur in Deutschland und im besetzten, neutralen und feindlichen Ausland antikommunistische und antisemitische Emotionen wecken und schüren; der Massenmord an den polnischen Offizieren sollte vor allem benutzt werden, um einen Keil in die Koalition der Kriegsgegner zu treiben.
    Den formellen Bruch der polnischen Exilregierung mit der Sowjetunion Ende April wertete Goebbels als ersten Erfolg seiner Kampagne. 23 Am 29. April hielt er fest: »Die Judenfrage ist neben der Frage des Antibolschewismus das Europa bewegende Problem. Wenn wir hier stur und eigensinnig beim einmal eingeschlagenen Kurs bleiben, so werden wir zweifellos den Erfolg auf unserer Seite haben.« Demzufolge hielt die Katyn-Kampagne auch Anfang Mai unvermindert an. 24
    Ein Blick in die deutsche Presse jener Wochen zeigt, dass in allen Blättern unter dem Stichwort Katyn die wohl schärfste antisemitische Kampagne seit Bestehen des Regimes stattfand. Zuerst am 14. April brachte die gesamte Presse die Öffnung der Massengräber von Katyn in teilweise sensationeller Weise in den Schlagzeilen. Auch an den folgenden Tagen machten die meisten Zeitungen mit Schlagzeilen zum Thema Katyn auf oder berichteten an herausragender Stelle über den Leichenfund. 25 Im Allgemeinen benötigte die Presse jedoch ein oder zwei Tage, bis sie die Entdeckung der Massengräber in der gewünschten, scharf antisemitischen Weise kommentierte. 26
    Nach wenigen Tagen hatte die gesamte Presse das Leitmotiv vom »jüdischen Massenmord« ( Der Angriff vom 16. April) jedoch aufgenommen. Für etwa sieben Wochen, bis Anfang Juni sollte Katyn als ein von jüdischen Kommunisten begangenes Verbrechen die Berichterstattung des Völkischen Beobachters vollkommen beherrschen: In diesem Zeitraum enthielt fast jede Ausgabe der Zeitung einen oder mehrere antisemitische Beiträge. Katyn wurde zum Schlagwort, um vermeintliche jüdische Grausamkeit und Bestrebungen nach der Weltherrschaft anzuprangern, mit denen sich auch die gegnerische Kriegskoalition auseinandersetzen müsse. Das immer wieder beschworene Bild der im Wald von Katyn ermordeten polnischen Offiziere sollte zudem deutlich vor Augen führen, was die deutsche Bevölkerung im Falle einer Niederlage in diesem »jüdischen Krieg« zu erwarten hatte.
    Der Angriff hielt – nach gewissen Anfangsschwierigkeiten, auf die noch einzugehen sein wird – die intensive Kampagne sogar bis Mitte Juni 1943 durch, das heißt, er veröffentlichte in diesem Zeitraum pro Tag durchschnittlich mehr als einen antisemitischen Beitrag. Besondere Höhepunkte dieser Kampagne waren die Leitkommentare Robert Leys, der das Blatt nutzte, um auf drastische Weise antisemitisch aufgeladene Angstphantasien zu entwerfen. Am 6. Juni 1943 schrieb er: »Der Jude bedeutet den Tod. Und umgekehrt bedeutet Kampf gegen den Juden: Jungsein, Stärke, Selbstbewusstsein, Lebenswille und Lebensbehauptung. Wer sich des Juden entledigt, wird gesund und geht einem Zeitalter unvorstellbarer Blüte, Größe und Herrlichkeit entgegen.« 27
    Leys Rhetorik erreichte in diesen Wochen eine selbst für den DAF-Führer ungewohnte Vulgarität und Brutalität. Anfang Mai hatte er in einer in der Presse stark beachteten und im Rundfunk ausgestrahlten Rede vor Rüstungsarbeitern den Kampf gegen »Juda« als »Kampf auf Leben und Tod« bezeichnet und daraus die Konsequenz gezogen: »Wir schwören, wir werden nicht eher den Kampf aufgeben, bis der letzte Jude in Europa vernichtet ist und gestorben ist.« 28
    Am 30. Mai

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