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"Davon haben wir nichts gewusst!"

"Davon haben wir nichts gewusst!"

Titel: "Davon haben wir nichts gewusst!" Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P Longerich
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diesem infamen Terror, hinter dem doch nur das Judenpack steckt, nicht unterkriegen«, verfehlten ihre Wirkung, da der Angriff als zu gravierend angesehen werde, »als dass man ihn zu irgendwelchen propagandistischen Mätzchen ausnutzen könne«. 57 Ebenso meldete der Bericht zu Inlandsfragen vom 25. Mai 1944, ein kürzlich unter der Überschrift »Hart auf Hart« in der Schweinfurter Zeitung erschienener Beitrag habe auf Grund seiner Diktion (»Wir werden, wo wir ihn noch nicht kannten, möglicherweise den Feind kennen lernen in seiner Brutalität, seinem rücksichtslosen, am bolschewistischen Beispiel geschulten, von jüdischem Hass angetriebenen Vernichtungswillen«) »örtlich unter der ländlichen Bevölkerung beunruhigt«. 58
    Angesichts der immer bedrohlicher werdenden militärischen Situation, der zunehmenden Luftangriffe und der Niederlagen an allen Fronten konnten sich die für die Propaganda Verantwortlichen im Jahre 1944 nicht mehr entschließen, zur Mobilisierung der letzten Reserven das Leitmotiv, man befinde sich in einem Kampf auf Leben und Tod mit dem »Weltjudentum«, zu reaktivieren. Zwar tauchte dieses Thema in der Propaganda immer wieder auf, 59 doch stand es im Schatten der neuen antibolschewistischen Propaganda, die auf antisemitische Parolen weitgehend verzichtete. Jetzt kam es darauf an, die Gegensätze im feindlichen Lager hervorzuheben, und dafür schien das Gespenst einer sowjetischen Schreckensherrschaft in ganz Europa wesentlich geeigneter als die Vorstellung von der jüdischen »Weltverschwörung«. Goebbels kam in den letzten Monaten des Krieges mehrfach auf seine These von den Juden als »Kitt der Feindkoalition« zurück, doch legen die entsprechenden Bemerkungen in seinem Tagebuch eher das Bedauern nahe, dass diese Parole nicht mehr in vollem Umfang ausgeschlachtet werden konnte. 60 Da Hitler seine letzten Hoffnungen auf einen Separatfrieden mit der Sowjetunion setzte, waren solche Thesen nicht opportun.
    Außerdem sollten unliebsame Fragen vermieden werden. Am 30. September 1944 instruierte das Propagandaministerium die Redaktionen, die »antijüdische Pressearbeit ist nach wie vor von hervorragender Bedeutung […] In diesem Zusammenhang wird darauf hingewiesen, dass es auch unzweckmäßig ist, von ›jüdischer Rache‹ zu sprechen, denn bei der Herausstellung früherer oder gegenwärtiger Rachepläne des Judentums kann in weltanschaulich ungefestigten Kreisen der Eindruck entstehen, dass wir diese ›Rache‹ durch, wie der Feind ja behauptet, grausames Verhalten den Juden gegenüber heraufbeschworen haben. Bekanntlich setzt ja die Rache ein vorangegangenes Unrecht voraus. Wir werden also nur vom jüdischen Vernichtungsfeldzug sprechen und immer wieder darauf hinweisen, dass das Judentum von jeher der angreifende Teil war und wir selbst uns mit unseren Maßnahmen in einer lebenswichtigen Abwehr befanden.« 61
    Als sowjetische Truppen im Oktober 1944 ostpreußisches Gebiet erreichten und deutsche Zivilisten in der Ortschaft Nemmersdorf auf grausamste Art und Weise umbrachten, wurde dies in der Propaganda groß herausgestellt. 62 Verschiedene NS-Blätter brachten auf der Titelseite Fotos von ermordeten Frauen und Kindern – eine schockierende Darstellung deutscher Opfer, die für die NS-Presse höchst ungewöhnlich war. 63
    Aber auch ohne die explizite Erwähnung jüdischer Täter oder Hintermänner wurde laut SD-Berichterstattung in der Bevölkerung ein Zusammenhang zwischen der Nemmersdorf-Propaganda und der Ermordung der Juden hergestellt. So berichtete die SD-Außenstelle Stuttgart im November 1944, die Darstellung der Nemmersdorfer Morde in der örtlichen Presse habe »oft gerade das Gegenteil von dem erreicht, was damit beabsichtigt war«; die Berichterstattung sei als »schamlos« abgelehnt worden. Die Führung, so werde übereinstimmend in allen Bevölkerungskreisen kritisiert, »müsste sich doch sagen, dass jeder denkende Mensch, wenn er diese Blutopfer sieht, sofort an die Gräueltaten denkt, die wir im Feindesland, ja sogar in Deutschland begangen haben. Haben wir nicht die Juden zu Tausenden hingeschlachtet? Erzählen nicht immer wieder Soldaten, Juden hätten in Polen ihre eigenen Gräber schaufeln müssen? Und wie haben wir es denn mit den Juden gemacht, die im Elsaß im KZ waren? Die Juden sind doch auch Menschen. Damit haben wir den Feinden ja vorgemacht, was sie im Falle ihres Sieges mit uns machen dürfen.« 64
    Das blieb nicht ohne Wirkung. Am 3. November

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