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"Davon haben wir nichts gewusst!"

"Davon haben wir nichts gewusst!"

Titel: "Davon haben wir nichts gewusst!" Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P Longerich
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ähnliche Beobachtungen gemacht hatte, 40 berichtete im Mai außerdem, »der Inhalt der in zahlreichen Mengen abgeworfenen Flugblätter hat allem Anschein nach seine Wirkung nicht verfehlt. Immer wieder hört man in vorsichtiger Form gehaltene Hinweise auf irrige Prophezeiungen unserer führenden Männer unter Anspielungen auf den Inhalt der Flugblätter, auf die Warnungen Roosevelts bezüglich der Behandlung der Juden usw. Besonders auf dem Lande sollen sie unter der Bevölkerung viel gelesen worden sein.« Der Bericht ist einer der seltenen Hinweise darauf, dass die durch die amerikanische Flugblattpropaganda verbreitete Erklärung Roosevelts tatsächlich in der Bevölkerung zur Kenntnis genommen wurde.
    Der SD Bad Brückenau kolportierte im Juni 1944 die Äußerung eines Arbeiters gegenüber einem Parteigenossen, wonach »die jetzigen Terrorangriffe nur die Antwort auf unsere Judenaktion des Jahres 1938 seien. Mit dieser Aktion gegen die Juden habe Deutschland damals den ›Terror‹ begonnen, und die Luftangriffe auf Deutschland von heute seien nur die Rache der amerikanischen und englischen Juden.« 41 Die SD-Außenstelle Schweinfurt meldete ebenfalls, unter »ausgebombten Volksgenossen sind Äußerungen zu hören, dass wenn wir die Juden nicht so schlecht behandelt hätten, wir unter den Terrorangriffen nicht so leiden müssten«. 42 Ähnliche Bemerkungen wurden auch in Berlin aufgeschnappt. 43
    Andere Berichte zeigen, dass die »Judenfrage« in der Bevölkerung durchaus als zentral betrachtet und dass die von der Propaganda heraufbeschworene »jüdische Rache« im Falle einer Niederlage ernst genommen wurde. 44 Es ist aber bezeichnend für die Stimmungsberichterstattung, dass die »Judenfrage« seit Sommer 1944 – von einzelnen Ausnahmen abgesehen – keine Rolle mehr spielte: Sie war, nach der weitgehenden Entkopplung der Themen »Bolschewismus« und »Judentum« im Frühjahr 1944 und dem Stopp der fortgesetzten Berichterstattung über das Schicksal der ungarischen Juden im Juli 1944, für die Ausrichtung der nationalsozialistischen Öffentlichkeit nicht mehr entscheidend und demnach für die Stimmungsberichterstattung praktisch belanglos.
    1944 häuften sich unter den Zuschriften an das Propagandaministerium allerdings Briefe, in denen Bürger pauschal »die Juden« für die Luftangriffe verantwortlich machten und entsprechende Konsequenzen einforderten. So finden sich in den Akten des Propagandaministeriums verschiedene Zuschriften von Bürgern, die vorschlugen, zur Abschreckung der alliierten Bomberflotten Juden als Geiseln zu nehmen. Einer der Briefeschreiber regte beispielsweise an, als vorbeugende Maßnahme gegen den »Luftterror« die »im Machtbereich des Reiches lebenden Juden […] in die luftgefährdeten Städte« zu bringen und sie »in Klein-Ghettos in den Wohnvierteln der Stadtgebiete« zu verteilen; bei Fliegerangriffen dürften die Geiseln diese Ghettos weder verlassen noch Luftschutzräume aufsuchen. Nach den Angriffen sei die Zahl der »getöteten oder verletzten Juden, besonders Frauen und Kinder«, zu veröffentlichen. Sollten sich diese Maßnahmen als unwirksam erweisen, so würde doch immerhin »diese Pest der Menschheit auf Veranlassung der eigenen Volksgenossen in den Feindländern selbst wenigstens teilweise ausgerottet werden«. 45
    In die gleiche Richtung zielte ein anderer Vorschlag: »Die Zahl der unter deutscher Kontrolle befindlichen Juden dürfte immerhin noch [sic!] einige Millionen betragen. Bei Fortsetzung des Luftterrors müssten wir eben der Judenschaft mit völliger Liquidierung ihrer Rassegenossen drohen.« 46 In einem anderen Brief heißt es, man solle als Vergeltung für alliierte Luftangriffe »10 000 oder 20 000 oder 30 000 Juden rücksichtslos erschießen«. 47 Exekutionen von Juden nach Luftangriffen hielten auch andere Briefeschreiber für ein probates Mittel. 48
    »Schonen wir die Juden«, so eine an Hitler und an das Propagandministerium gerichtete Eingabe, »dann werden die Terrorangriffe gegen die deutsche Bevölkerung einen dearrtigen Umfang annehmen, dass nicht nur Städte und Dörfer verwüstet – nein – landwirtschaftliche Gebiete auch zerstört werden. […] Möge doch der innere Befehl allen deutschen Volksgenossen zur Wirklichkeit werden – Rache zu nehmen an dem Judentum – Sühne zu fordern – an hundert Juden – für jedes einzelne Opfer.« 49
    Der Krieg, so ist der Petition eines in Deutschland lebenden Schweizer Staatsbürgers an Hitler zu

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