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"Davon haben wir nichts gewusst!"

"Davon haben wir nichts gewusst!"

Titel: "Davon haben wir nichts gewusst!" Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P Longerich
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entnehmen, könne nicht anders als mit dem Tod der Juden enden: »So wie ein befriedigender Kriegsausgang in jüdischer Auslegung nur über unsere, also über die Leichen der Nichtjuden erfolgen könnte, kann nach unserer Rechtsansicht der Weg zu einer uns befriedigenden Zukunft nur über die Leichen der Juden und der Projuden führen.« 50
    Daneben finden sich in den Akten des Propagandaministeriums verschiedene Anregungen für eine Intensivierung der antisemitischen Propaganda, und zwar sowohl innerhalb Deutschlands wie an die Adresse der Westmächte; darunter waren umfangreiche, vor Hass triefende Ausarbeitungen, Aufsätze, aber auch Gedichte. Eingesandt wurden unter anderem Vorschläge für Flugblätter. So steuerte etwa ein »Helfer in Steuersachen« aus Staufen im Breisgau den Entwurf für ein Flugblatt bei, das über den »englischen Linien« abgeworfen werden sollte: »Tommy! Mach Schluss. Schlag die Juden tot. Sie sind Deine und unsere größten und einzigsten Feinde.« Oder: »Schüttelt eure jüdischen Bedrücker ab, die euch wie Sklaven halten und euch in Knechtschaft zwingen.« 51
    Ein aus Bielefeld eingesandter Vorschlag für ein Flugblatt an die »Völker Amerikas und Europas!« gipfelte in der Parole: »Nieder mit dem Goldmoloch ›Juda‹!« 52 In deutsche Städte einrückende Feindtruppen sollten, so meinte ein anderer, mit Spruchbändern empfangen werden: »Lasst uns die Juden vom Halse und schafft eure Präsidenten ab, die vollständig judenhörig sind.« 53
    Könnte man nicht, sinnierte ein Berliner, die V-1- und V-2-Geschosse mit englischen Texten bedrucken, damit etwa auf den Geschosssplittern »Die Juden richten England zugrunde« zu lesen stünde? 54 Ein Briefschreiber aus Höxter regte an, die USA als »The Jew-blighted States of North America« zu bezeichnen. Auf Spanisch, so der Vorschlag weiter, ließe sich doch »Estados Unidos« in »Estados Judios« umwandeln! 55 »Jedem Angehörigen einer Feindarmee«, so schlug ein Ingenieur aus Wiener Neustadt vor, sollte »die Bezeichnung ›Soldat Judas‹ vorangesetzt werden. Es sollte daher künftighin nicht mehr von General Eisenhower, vom General de Gaulle oder irgendeinem anderen Feindsoldaten die Rede sein, sondern nur mehr vom Soldaten Judas General Eisenhower, vom Soldaten Judas General de Gaulle u.s.w.« Die Kriegsgefangenenlager seien nur noch als »Lager der kriegsgefangenen Soldaten Judas« zu bezeichnen, die Gefangenen müssten gezwungen werden, Briefe an ihre Angehörigen ausschließlich auf entsprechend gestempeltem Briefpapier zu schreiben. 56
    Die von der Propaganda immer wieder betonte zentrale Rolle »der Juden« als Hintermänner der feindlichen Kriegskoalition und eigentlich Verantwortliche für den Luftkrieg verfing also wenigstens in bestimmten Bevölkerungskreisen durchaus und löste offensichtlich Rachephantasien und allerlei »kreative Überlegungen« aus. Über die Verbreitung solcher radikal-antisemitischen Ansichten innerhalb der Bevölkerung sagen diese Fundstücke allerdings nichts aus.
    Die Vorschläge zeigen aber auch etwas anders: Erstens empfanden zumindest eingefleischte Antisemiten die antijüdische Propaganda des Regimes offenbar als unzureichend und mangelhaft. Man könnte argumentieren, dass hier der Wunsch der Kernanhängerschaft des Nationalsozialismus zum Ausdruck kommt, die »Judenfrage« weiterhin in den Mittelpunkt der nationalsozialistischen Propaganda und Politik zu stellen. Zweitens deuten die brutalen Phantasien der Briefeschreiber über eine Geiselnahme und Bestrafung »der Juden« für die alliierten Luftangriffe nicht darauf hin, dass die Autoren über den inzwischen weitgehend vollzogenen Massenmord an den Juden unterrichtet waren. Ganz im Einklang mit der häufig unkonkreten Propaganda gingen sie offenbar davon aus, dass die von führenden Regimevertretern immer wieder angekündigte brutale »Endlösung der Judenfrage«, die endgültige »Ausrottung«, von der so oft in öffentlichen Ankündigungen die Rede war, noch in der Zukunft liege.
    Tatsächlich scheint der Versuch, Luftangriffe propagandistisch zu nutzen, um den Antisemitismus aufzustacheln, in der Bevölkerung jedoch auf Ablehnung gestoßen zu sein. Der SD-Abschnitt Schwerin berichtete im März 1944 über die Wirkung der örtlichen Propagandamaßnahmen nach dem Luftangriff auf Rostock am 20. Februar: Die Berichterstattung der Mecklenburgischen Presse werde für »unsachlich und unzutreffend« gehalten. Parolen wie »Wir lassen uns von

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