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"Davon haben wir nichts gewusst!"

"Davon haben wir nichts gewusst!"

Titel: "Davon haben wir nichts gewusst!" Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P Longerich
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tschechoslowakischen Juden wurden im Dezember vorigen Jahres vom Konzentrationslager Theresienstadt an der Elbe nach Birkenau geschafft. 4000 tschechoslowakische Juden, die im September 1943 von Theresienstadt nach Birkenau transportiert wurden, sind am 7. März in Gaskammern ermordet worden.« 33
    Am 9. Juli konnte in Deutschland der Beitrag eines amerikanischen Senders empfangen werden, der folgendes Zitat aus der New York Times enthielt: »Seit April 1942 hat die deutsche Regierung nahezu 1½ Millionen Juden in zwei schlesischen Lagern ermordet. […] Millionen Juden haben bisher ihren Tod in Gaskammern, durch Erhängung und Giftinjektionen gefunden.« 34
    Der Amerikanische Sender in Europa strahlte am 10. Juli eine Meldung in englischer Sprache aus, die alliierten Regierungen hätten Berichte erhalten, aus denen hervorgehe, »dass mehr als eineinhalb Millionen Juden von den Nazis getötet worden sind. Die Blutbäder sollen in den deutschen Konzentrationslagern Birkenau und Oswiecim stattgefunden haben. Dieser offizielle Bericht wurde den alliierten Regierungen aus einer neutralen Quelle überreicht. Er besagt, dass die Massenmorde zwischen dem Monat April des Jahres 1942 und April 1944 stattfanden. Der Bericht ist auf Aussagen von Augenzeugen aufgebaut, die seit dem Monat April aus den Lagern entkommen sind.« 35
    Die von solchen Erklärungen begleiteten fortgesetzten internationalen Bemühungen, eine Wiederaufnahme der Deportationen aus Ungarn zu verhindern und vor allem die in Budapest zusammengepferchten Juden zu retten, ließen es den deutschen Propagandisten nicht geraten erscheinen, weiter auf das Schicksal der ungarischen Juden einzugehen. Daher wurde das Thema seit Juli 1944 zurückgestellt: Ansonsten hätte man zu den konkreten Vorwürfen der alliierten Propaganda hinsichtlich der Ermordung der ungarischen (aber nicht nur der ungarischen) Juden Stellung nehmen müssen. 36 Gerade diese relativ zurückhaltende Behandlung der »Judenfrage« in der deutschen Propaganda, die nun auch weitgehend darauf verzichtete, einen jüdischen Rachefeldzug im Falle einer Niederlage heraufzubeschwören, musste aber die Aussichten der Alliierten schmälern, durch die Thematisierung des Judenmordes ernsthafte Wirkungen in der deutschen Bevölkerung zu erzielen. Denn anders als 1943 zur Hoch-Zeit der »Kraft durch Furcht«-Propaganda hatte die Aufmerksamkeit der deutschen Bevölkerung für dieses Thema stark nachgelassen.

Luftkrieg und »Judenfrage« – das Motiv von Rache und Vergeltung
    Gleichwohl hatten die Maßnahmen gegen die ungarischen Juden in der Bevölkerung erneut verstärkt Diskussionen über mögliche Zusammenhänge von deutscher »Judenpolitik« und alliierter Kriegsführung ausgelöst, insbesondere hinsichtlich der feindlichen Luftangriffe. So berichtete etwa die SD-Außenstelle Bad Brückenau im April 1944,in »Arbeiterkreisen, auch vereinzelt unter Bauern, glaubt man, die Angriffe auf Budapest auf die neuerdings in Ungarn herausgebrachten Judengesetze schieben zu müssen«. 37
    Dies beschränkte sich, so die gleiche Stelle, keineswegs auf Ungarn; vielmehr sei es eine vielfach zu »hörende Meinung, dass Terrorangriffe besonders auf Frankfurt xfache Vergeltung für Judenaktion 1938 seien«. In einem anderen Abschnitt des Berichts heißt es, unter den Bombenflüchtlingen würden »wie früher schon einmal, Äußerungen laut, dass unsere ganze Einstellung zur Judenfrage, besonders aber ihre Lösung, eine grundverkehrte gewesen sei, deren Folgen und Auswirkungen das deutsche Volk heute ausbaden müsse. Hätte man die Juden im Lande gelassen, würde heute wohl keine Bombe auf Frankfurt fallen.« 38
    Die SD-Außenstelle Bad Brückenau verfolgte dieses Gesprächsthema im Monat Mai weiter. Danach wurde in der Bevölkerung die im Gang befindliche Ghettoisierung der ungarischen Juden vor allem als Präventivmaßnahme gegen Luftangriffe gesehen – und bedauert, dass man die gleichen Maßnahmen nicht auch in Deutschland ergriffen habe: »Viele Volksgenossen sind der Meinung, dass die Judenfrage von uns in der ungeschicktesten Weise gelöst worden sei. Sie äußern sich ganz offen, dass Ungarn in dieser Angelegenheit aus unserem Misserfolg jedenfalls gelernt habe; und sicherlich unsere Städte noch unzerstört seien, wenn wir die Juden seinerzeit auch in Ghettos zusammengefasst hätten. Dadurch würde uns heute ein sehr wirksames Droh- und Gegenmittel zur Verfügung stehen.« 39
    Die SD-Außenstelle Würzburg, die

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