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"Davon haben wir nichts gewusst!"

"Davon haben wir nichts gewusst!"

Titel: "Davon haben wir nichts gewusst!" Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P Longerich
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notierte Goebbels, nachdem er auch aus dem internen Berichtsmaterial seines Ministeriums die negativen Wirkungen der Nemmersdorf-Propaganda hatte zur Kenntnis nehmen müssen, 65 ihm würden »Unterlagen vorgelegt über entsetzliche Gräueltaten, die die Bolschewisten nicht nur an deutschen Zivilisten, sondern auch an deutschen Soldaten verübt« hätten; er sei jedoch »im Augenblick nicht geneigt, diese Unterlagen der Öffentlichkeit bekanntzugeben, weil ich mir davon keine anfeuernde Wirkung bei unseren Truppen verspreche«.
    Bis zum Ende des Krieges erschienen in Deutschland zwar immer wieder Schreckensberichte über feindliche Gräuel, eine einheitliche Kampagne entwickelte sich daraus jedoch nicht mehr. 66 Vielmehr entschloss man sich, das Schwergewicht auf heroische Durchhalteparolen zu legen und die negative Seite des Durchhalteappells – die drohende Auslöschung des deutschen Volkes – eher im Hintergrund zu behandeln.
    Dass der Krieg Deutschland indes von »den Juden« aufgezwungen worden sei und daher mit der Vernichtung der Juden enden müsse – diese Vorstellung wurde bis zum bitteren Ende wiederholt. 67 Vor allem Robert Ley, der Führer der Deutschen Arbeitsfront und einer der prominentesten Nationalsozialisten, bemühte sich insbesondere während der Schlussphase des Krieges, diese Parole der deutschen Bevölkerung geradezu einzuhämmern. Am 12. März 1944 schrieb Ley im Angriff : »Juda wird ausgerottet. Was Hadrian nicht vermag, wird uns gelingen. Juda muss sterben! Damit wird die Menschheit vom jüdischen Terror befreit! Wenn das nicht gelänge, würdest du sterben, deutsches Volk, und der Jude würde wiederum 5000 Jahre ein neues Purim feiern, das Purim der 85 Millionen Deutschen. Das bedenke, Deutscher: Er, der Jude – oder Du! Es gibt kein Ausweichen!« 68
    Am 16. April kam er unter dem Titel »Alle Juden bürgen füreinander« in der gleichen Zeitung auf seine alte Parole zurück: »Dieser Krieg ist der Krieg der Juden.« Am 7. Mai 1944 kündigte er in einem weiteren Kommentar im Angriff an: »Wir werden nicht eher ruhen, bis der Jude vernichtet und seine Welt ausgerottet ist. Juda wird und muss sterben.« 69
    Dieser letzte Satz sollte für Ley in den kommenden Monaten geradezu zu einem ceterum censeo werden. Zwischen Mai 1944 und dem Jahresende lassen sich im Angriff weitere zwanzig Leitartikel finden, 70 die mit dieser oder einer ähnlichen Formel schlossen, zuletzt Weihnachten 1944: »Es wird nicht eher ›Frieden auf Erden‹ geben, bis Juda und seine Söldner vernichtet sind.«
    Aufhalten ließ sich der Untergang des »Dritten Reiches« damit nicht mehr.

Fazit
    Bei dieser Studie sind wir von der Überlegung ausgegangen, dass die Frage nach der Reaktion der deutschen Bevölkerung auf die Judenverfolgung und nach ihrem Wissen über die »Endlösung« präziser beantwortet werden kann, wenn wir diese Frage mit einem anderen Themenkomplex verbinden: dem Problem, inwieweit die Judenverfolgung unter der NS-Diktatur öffentlich stattfand und durch das Regime auch offen propagiert wurde – oder, anders formuliert, welche Rolle die »Judenfrage« bei den Bemühungen des Regimes besaß, die Öffentlichkeit des »Dritten Reiches« zu kontrollieren und auszurichten.

Antisemitische Propagandawellen
    Ein Hauptergebnis dieser Studie ist, dass es zwischen 1933 und 1945 Phasen intensiver antisemitischer Propaganda gab; zwischen diesen Kampagnen wurde das Thema in der Propaganda zwar wach gehalten, trat jedoch in den Hintergrund.
    In diesen Phasen intensiver antisemitischer Propaganda erklärte das Regime die »Judenfrage« zum zentralen innenpolitischen Problem: 1933, 1935 und 1938 erweckte das Regime den Eindruck, als ob erst durch die »Befreiung« vom angeblich drückenden jüdischen Einfluss die reine nationalsozialistische »Volksgemeinschaft« hergestellt werden könne. Der Ausschluss der als parasitär dargestellten Tätigkeit der Juden aus der Wirtschaft, die Reinhaltung des »deutschen Blutes«, die »Entjudung« des gesamten öffentlichen und kulturellen Lebens galten als wesentliche Elemente eines umfassenden Säuberungsprozesses, der für die Verwirklichung der völkischen Utopie des Nationalsozialismus unumgänglich sei. Das Regime stellte somit in allen drei Phasen intensiver antisemitischer Agitation klar, dass die »Beseitigung« der Juden keineswegs nur eine Nebenlinie nationalsozialistischer Politik war, sondern ein vorrangiges Ziel.
    Es ist offensichtlich, dass die NS-Bewegung mit

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