"Davon haben wir nichts gewusst!"
Ausdruck des Massenwillens, der die Totengräber des deutschen Mittelstandes und des deutschen Gewerbetreibens beseitigt wissen will.« 12 Mitte März veröffentlichten dann jedoch alle Parteiblätter die Aufrufe der Parteileitung, die »Einzelaktionen« einzustellen. 13 Lediglich in den NS-Blättern, die direkt an die Parteiführung angebunden waren, fanden die Boykottaktionen der Parteibasis vom März 1933 praktisch keinen Niederschlag: Weder der Völkische Beobachter noch der vom Berliner Gauleiter und Reichspropagandachef der Partei herausgegebene Angriff nahmen von diesen durch die Parteiführung nicht autorisierten, »wilden« Aktionen in größerem Umfang Notiz. 14
Ihre antisemitische Propaganda setzten die beiden großen Parteiblätter dennoch auch im Frühjahr 1933 ungemindert fort. So brachte beispielsweise der Völkische Beobachter , nachdem er seine antisemitische Propaganda im Frühjahr 1932 drastisch reduziert hatte, in den folgenden Monaten des Jahres 1932 durchschnittlich etwa zwei bis drei Beiträge pro Woche, in den Sommermonaten sank die Quote sogar weiter ab; seit Dezember 1932 waren es jedoch wieder etwa drei bis vier einschlägige Beiträge pro Woche. Die Bandbreite der Themen ist dabei typisch für die Art und Weise, wie das antisemitische Leitmotiv in der NS-Presse abgehandelt wurde: In Meldungen und Artikeln versuchten die Propagandisten, den angeblich erdrückenden jüdischen Einfluss im In- und Ausland nachzuweisen. Besonderes Gewicht legte man auf »jüdische« Kriminalität und auf Skandale, die Juden zugeschrieben wurden; immer wieder wurde anhand von Beispielen auf die »Verjudung« des deutschen Kulturlebens hingewiesen; hinzu kamen Beiträge über den vermeintlich unheilvollen Einfluss der Juden auf das Wirtschaftsleben, und selbst die Sportseite blieb nicht frei von antisemitischen Injurien. 15 Die gegnerische Presse galt der Zeitung routinemäßig als »Judenpresse«, der Weimarer Staat als »Judenrepublik«.
Trotzdem war der Antisemitismus nicht das Hauptthema des Völkischen Beobachters . Es war nicht die Politik des Blattes, die Leserschaft täglich mit antisemitischer Propaganda zu überziehen. Eher hat es den Anschein, dass diese weitgefächerte Propaganda für diejenigen bestimmt war, die die Zeitung gründlich lasen: Bei dieser treuen Leserschicht sollte – nach dem Motto »typisch jüdisch« – ein Wiedererkennungseffekt ausgelöst werden.
Im Angriff , dem als großstädtische Boulevardzeitung aufgezogenen Hauptstadtorgan der NSDAP, nahm der Antisemitismus von je her eine etwas plakativere Rolle ein als im Völkischen Beobachter . Waren 1932 durchschnittlich zwei bis drei antisemitische Beiträge pro Woche erschienen, so intensivierte das Blatt im Januar 1933 seine diesbezüglichen Anstrengungen. Noch stärker als der Völkische Beobachter darauf angelegt, das Verhalten von Juden zu skandalisieren, und überdies vulgärer, brachte Der Angriff nun durchschnittlich etwa einen antisemitischen Beitrag pro Tag (wobei die Zahl der einschlägigen Beiträge im Februar vorübergehend zurückgefahren wurde). 16
Eine Woche vor dem offiziellen Boykott vom 1. April ging die gesamte Parteipresse zu einer massiven und konzertierten antijüdischen Kampagne über; alle Aufmacher waren darauf zugeschnitten. Im Vordergrund der Kampagne stand die Behauptung, gegen die neue Regierung ergieße sich eine weltweite »jüdische Gräuelhetze«; angesichts dieser Welle sei der geplante Boykott jüdischer Geschäfte in Deutschland eine legitime Gegenmaßnahme. 17
Auch die nichtnationalsozialistische Presse, die im März 1933 die Ausschreitungen der NSDAP-Anhänger beobachtet hatte, übernahm in diesen Tagen die vom Regime in Umlauf gebrachten Schlagworte von der ausländischen »Gräuelpropaganda« und der »deutschfeindlichen Hetze«. Die meisten Zeitungen vermieden es zwar, die »Gräuelpropaganda« mit dem Adjektiv »jüdisch« zu versehen; aus den Kommentaren ergibt sich jedoch recht eindeutig, woher nach Auffassung auch dieser Zeitungsredaktionen die »Gräuel« kamen.
Die Frankfurter Zeitung vom 28. März etwa sprach in einem Kommentar unter dem Titel »Auf falschem Wege« eine deutliche Warnung aus: »Wenn die Juden verschiedener großer Länder […] sich der Hoffnung hingeben sollten, durch die Entfaltung irgendwelcher deutschfeindlicher Propaganda den deutschen Juden zu Hilfe kommen zu können, so müssen wir ihnen sagen, dass sie dabei viel Schaden, aber keinen Nutzen anrichten
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