"Davon haben wir nichts gewusst!"
werden …«
Die kurze Passage zeigt, in welches Dilemma die Frankfurter Zeitung und andere bürgerliche Blätter geraten konnten: In der aufgeheizten Situation vom Frühjahr 1933 das Ausland davor zu warnen, weitere Kritik an Deutschland werde sich auf die deutschen Juden negativ auswirken, hatte – beabsichtigt oder unbeabsichtigt – genau die Wirkung, die die neue Regierung hervorrufen wollte. Die Kritik aus dem Ausland sollte durch Druck auf die deutschen Juden zum Verstummen gebracht werden. Verschiedene nichtnationalsozialistische Blätter riefen denn auch dazu auf, sich an der »Abwehr« gegen die Gräuelpropaganda zu beteiligen, 18 und beeilten sich, deutlich zu machen, dass sie selbst an vorderster Front gegen die »Gräuel« ankämpften. 19
Auch wenn die nichtnationalsozialistische Presse sich im Frühjahr 1933 nicht an einer ausgesprochen antijüdischen Hetze beteiligte, so hatte sie sich doch das erste Mal durch das Regime in eine antisemitische Kampagne einspannen lassen. Dem durchschnittlichen Leser einer durchschnittlichen Tageszeitung wurde zu verstehen gegeben, dass es eine ausländische »Gräuelhetze« gebe, dass man sich gegen diese im nationalen Interesse zur Wehr setzen müsse und dass die »Abwehr« der Gräuelhetze dazu beitragen werde, die deutschen Juden zu schonen. Dass man damit der Erwartungshaltung der neuen Regierung entsprach, legte die Deutsche Allgemeine Zeitung ihren Lesern gegenüber offen, als sie am 28. März aus »unterrichteten Kreisen« berichtete, »die Reichsregierung werde bei der ganzen Abwehrbewegung ein besonderes Augenmerk auf die Presse und auf solche Zeitungen richten, die sich dabei etwa passiv verhalten«.
Die Presseberichterstattung über den eigentlichen Boykott vom 1. April vermittelt einheitlich das Bild einer »ruhig« und »diszipliniert« verlaufenden Aktion, wobei Zwischenfälle und Gewalttaten – die es durchaus in größerem Umfang gab – ignoriert oder heruntergespielt wurden. 20 Die Deutsche Allgemeine Zeitung äußerte in einem auf der Titelseite vom 4. April erschienenen Kommentar ihre Befriedigung über den »Erfolg« des Boykotts (so auch der Titel des Beitrags), wandte aber ein, dass »das deutsche Volk im Grunde seines Wesens geringe Sympathie für solche Gewaltmaßregeln empfindet. Sein feiner Sinn für Gerechtigkeit und Geistlichkeit übersieht die unausbleibliche Einseitigkeit nicht, die mit ihnen verbunden ist. Sein Unterscheidungsvermögen wirft den vorgestern aus Galizien Eingewanderten nicht in einen Topf mit dem bodenständigen Judentum, das seinen staatsbürgerlichen Pflichten in Krieg und Frieden entsprochen hat.«
Propagandaminister Goebbels habe, so die Zeitung weiter, in einer am Vorabend des Boykotts gehaltenen Rede »mit Recht an die Schamlosigkeiten der Tucholsky und Toller erinnert, die schmähten und besudelten, was dem Deutschen heilig ist, aber er kennt wie wir anderen auch die großen Leistungen zum Beispiel auf dem Gebiete der Medizin und der Rechtswissenschaft, die deutsche Staatsangehörige jüdischer Religion und Rasse vollbracht haben, Leistungen, die kein geringerer als Bismarck außerordentlich hoch veranschlagt hat.«
Der Kommentator fuhr fort: »Die Reichsregierung hält die gesamte Gewalt in der Hand und kann auf Grund des Ermächtigungsgesetzes alle gesetzlichen Vorkehrungen treffen, die ein weiteres Überwuchern undeutscher Einflüsse und Gesinnungen verhindern sollen. Wir müssen aber unterscheiden lernen und können, gerade aus Selbstbewusstsein und in Wahrung der nationalen Würde, darauf verzichten, auch diejenigen in ein moralisches Ghetto zu stoßen, die das nach Nam’ und Art als bitteres Unrecht empfinden müssen. Unerwünscht ist es auch, wenn sich gelegentlich die berechtigte Abwehr übergroßen jüdischen Einflusses mit dem Wunsche einen durch Leistung überlegenen Konkurrenten zu verdrängen, in nicht ganz sauberer Weise vermählt, wenn man den Stammbaum verdienter Persönlichkeiten um Generationen zurückverfolgt, um vielleicht doch irgendwie einen Tropfen jüdischen Blutes zu entdecken.«
Auch in der Frankfurter Zeitung erschien eine kritische Stimme zum Boykott. 21 Der Berliner Korrespondent der Zeitung verteidigte in einer längeren »Betrachtung« den Grundsatz der staatsbürgerlichen Gleichheit der deutschen Juden, indem er unter anderem ausführlich an die Geschichte der Emanzipation in Preußen erinnerte und die Autorität des Reichspräsidenten ins Spiel brachte: »Auch wüssten wir
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