"Davon haben wir nichts gewusst!"
nicht, dass der Generalfeldmarschall jemals einen Soldaten aus der Front zurückgeschickt habe, weil er ein Jude sei.«
Wenige Tage nach dem Ende des Boykotts verabschiedete das Kabinett die ersten gegen Juden gerichteten Ausnahmegesetze: Das Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums sowie das Rechtsanwaltsgesetz. Beide Gesetze sahen vor, jüdische Beamte beziehungsweise Rechtsanwälte aus ihren Positionen zu entlassen und keine Juden mehr zu diesen Berufen zuzulassen. Für jüdische Kriegsteilnehmer waren Sonderbestimmungen vorgesehen. 22
Im Bereich der Justiz legalisierten die beiden Gesetze einen faktisch bereits bestehenden Zustand: Seit März 1933 waren Richter, Staatsanwälte und Rechtsanwälte an vielen Orten durch NS-Anhänger am Betreten der Gerichtsgebäude gehindert worden; daraufhin hatte die Parteipresse lautstark die Forderung des NS-Juristenbundes nach Ausschluss der Juden aus der Justiz propagiert, 23 was wiederum nationalsozialistische Justizminister in den Ländern dazu veranlasste, Hausverbote zu verhängen und Beamte in den Zwangsurlaub zu schicken.
Die nichtnationalsozialistische Presse reagierte durchaus unterschiedlich auf die beiden antijüdischen Gesetze, die einen massiven Eingriff in die seit 1871 im Deutschen Reich geltende staatsbürgerliche Gleichberechtigung der Juden bedeuteten. In Rechnung stellen müssen wird man bei der Bewertung die Erleichterung, die angesichts des kontrollierten Abbruchs der Boykottbewegung gerade in bürgerlichen Kreisen vorherrschte: Die Aussicht auf gesetzliche Regelungen der »Judenfrage« schien weitaus besser als eine Fortsetzung der Gewalttätigkeiten.
Bemerkenswerterweise äußerten zahlreiche Kommentatoren (auch wenn sie teilweise Bedenken gegen die pauschale Anwendung der Rassendoktrin anmeldeten) ihre grundsätzliche Zustimmung zu der von den Nationalsozialisten erhobenen Forderung, den angeblich so verhängnisvollen jüdischen Einfluss zurückzudrängen. So attestierte die Deutsche Allgemeine Zeitung dem Beamtengesetz eine – verglichen mit den Übergriffen des Parteimobs – »größere Tendenz zur Gerechtigkeit und Sachlichkeit« und beurteilte das Rechtsanwaltsgesetz als relativ gemäßigt. 24 Die Schlesische Zeitung sprach in einem Kommentar aus Anlass der Verabschiedung des Beamtengesetzes davon, Deutschland sei dabei, sich von »einer jahrhundertelang geduldig getragenen Fremdkultur« zu befreien. 25
Die katholische Kölnische Volkszeitung nannte in ihrem Kommentar zum Beamten- und Rechtsanwaltsgesetz zwar grundsätzliche Bedenken gegen Regelungen, die auf dem »Rassegedanken« und nicht auf Religionszugehörigkeit beruhten, äußerte jedoch Verständnis für »die psychologischen Reaktionen gegen eine zahlenmäßige Vorherrschaft des Judentums in bestimmten Berufen«. Maßnahmen, die »geeignet sind, hier ein gerechtes Verhältnis herbeizuführen, dürften gerade im Interesse des Judentums liegen, das eine Verstopfung der Quelle des Antisemitismus nur wünschen kann«. In diesem Zusammenhang sei auch der »Einfluss der Juden auf das deutsche Geistesleben« von »besonderer Bedeutung. Dass es nicht immer und unter allen Umständen zerstörend zu sein braucht, dafür ist […] Julius Stahl ein nicht zu übersehendes Beispiel. Andererseits lässt sich nicht leugnen, dass vom jüdischen Intellektualismus insbesondere in der Nachkriegszeit, aber auch schon in der Vorkriegszeit liberalistische Auswirkungen ausgingen, die dem deutschen Volkstum zum mindesten abträglich waren.« 26
Der Kommentar der Frankfurter Zeitung setzte sich rundheraus kritisch mit dem Berufsbeamtengesetz auseinander und verwarf jede »rassische Doktrin«, die zu »grotesken Situationen« führen könne. Der Kommentator fuhr fort: »Aber sieht man nicht den wirtschaftlichen Schaden, der angerichtet werden muss, wenn man sich stur auf die Parole versteift: ›Juden heraus?‹ Gewiss, ›Radau-Antisemitismus‹ soll es nicht mehr geben, aber was liegt an einem Wort? Man kann mit sanften Mitteln genau ebensoviel Unheil anrichten, wie mit groben.« 27
Auch an anderen Beispielen lässt sich verdeutlichen, dass die bürgerliche Presse zu diesem Zeitpunkt durchaus noch Spielraum bei der Bewertung der antisemitischen Politik besaß. Den Rücktritt Max Reinhardts als Direktor des Deutschen Theaters in Berlin kommentierte im April 1933 der Schriftsteller Max Bronnen im Berliner Lokalanzeiger: »Eine fremde Weltmacht hielt die Bastionen unseres Landes: Was Marx in der
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