"Davon haben wir nichts gewusst!"
ebenfalls wie in der Presse – eine äußerst intensive antisemitische Propaganda betrieben wurde. 3 Ob diese Parallele zwischen Presse und Rundfunk auch für die anderen Phasen verschärfter Verfolgung, insbesondere während der Kriegszeit, gilt, darüber können wir – zumal vor dem Hintergrund, dass das Radio während des Krieges zunehmend zwecks Unterhaltung und Ablenkung eingesetzt wurde – nur spekulieren. 4 Der Einsatz des Rundfunks im Rahmen der »Judenpolitik« des Regimes bleibt daher weitgehend im Dunkeln. 5
In den vier deutschen Wochenschauen wurde die Judenverfolgung vor Kriegsbeginn nur relativ selten thematisiert: Lediglich zwei Wochenschauen, Fox und Deulig-Tonwoche , berichteten über den so genannten Boykott vom 1. April 1933. Die Ufa-Wochenschau brachte einen Bericht vom Reichsparteitag 1935, ließ jedoch die Verkündung der Nürnberger Gesetze aus. Der Novemberpogrom wurde in den Wochenschauen selbstverständlich nicht behandelt; man begnügte sich mit Berichten über die Trauerfeier für Ernst vom Rath. 6 Ähnlich schwach vertreten waren die Themen Antisemitismus und Judenverfolgung in der Serie »Echo der Heimat«, einer etwa halbjährlich erscheinenden Folge von Filmen für Auslandsdeutsche: Hier wurde das Gustloff-Attentat zwei Mal angesprochen, anlässlich der Beisetzung Gustloffs 1936 sowie nach dem Prozess gegen David Frankfurter 1937. 7 Auch in den in Deutschland vor Kriegsbeginn produzierten Dokumentar- und Spielfilmen spielte Antisemitismus keine größere Rolle. Dies sollte sich erst während des Krieges ändern. 8
Die erste antisemitische Welle
Wenige Tage nach den Reichstagswahlen vom 5. März 1933 gingen nationalsozialistische Parteiaktivisten überall im Reichsgebiet dazu über, einen »Boykott« jüdischer Geschäfte zu organisieren, der tatsächlich die Form einer gewaltsamen Blockade annahm: Sie demonstrierten lautstark vor den entsprechenden Läden, beschmierten die Fensterscheiben mit Warnungen, hielten Kunden vom Betreten der Geschäfte ab oder notierten ihre Namen. An vielen Orten hinderten sie ferner jüdische Juristen gewaltsam an der Ausübung ihres Berufes; in einer Reihe von Fällen wurden jüdische Juristen durch den Mob regelrecht aus dem Gerichtsgebäude gejagt. 9 Die Führung der NSDAP bremste diese »wilden« antijüdischen Aktionen nach einigen Tagen jedoch wieder ab. Solche massiven Störungen der öffentlichen Ordnung erschienen Mitte März 1933 inopportun, benötigte man doch die Zustimmung der gemäßigten Rechtsparteien für die Verabschiedung des Ermächtigungsgesetzes.
Ende März 1933 – das Ermächtigungsgesetz hatte inzwischen den Reichstag passiert – vollzog die nationalsozialistische Führung jedoch eine Kehrtwendung und kündigte nun selbst einen von der Partei zentral gesteuerten »Boykott« jüdischer Geschäfte an. Anlass bot die wachsende Kritik des Auslands an dem Terror während der so genannten Machtergreifung: Sie sollte durch eine gezielte »Aktion« gegen die deutschen Juden zum Schweigen gebracht werden. Um die Situation unter Kontrolle zu behalten, wurde der Boykott jedoch auf einen einzigen Tag, den 1. April 1933, beschränkt. An diesem Tag blockierten SA- und HJ-Angehörige, versehen mit Plakaten und Flugblättern, nach »bewährtem« Muster den Zugang zu den jüdischen Geschäften und hinderten Kunden daran, diese zu betreten. Infolge der fortdauernden Belästigungen sahen sich die Geschäftsinhaber im Laufe des Tages genötigt, ihre Geschäfte zu schließen.
Und wie reagierte die Presse auf die Ereignisse dieses Frühjahrs? Die Parteiblätter der NSDAP, die ihre antisemitische Grundhaltung in der letzten Phase der Weimarer Republik keineswegs aufgegeben hatten, waren bereits um die Jahreswende 1932/33 dazu übergegangen, verstärkt antijüdische Themen aufzugreifen. 10 Insbesondere die nationalsozialistische Provinzpresse berichtete im März 1933 intensiv über den nichtautorisierten Boykott der Parteiaktivisten und versuchte, durch entsprechende Berichte den Flächenbrand auszuweiten. 11 Dabei waren die Parteizeitungen bestrebt, die Aktionen als spontane Kundgebungen der »Volksmassen« darzustellen, wie etwa die Niedersächsische Tageszeitung ihren Lesern klar zu machen suchte: »Wie wir bereits berichteten, mussten gestern unter dem Druck der Volksmassen die jüdischen Großkaufhäuser in Hannover ihre Pforten schließen. Diese Aktion geschah nicht auf Veranlassung irgendwelcher Parteistellen, sie war vielmehr der spontane
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