"Davon haben wir nichts gewusst!"
Angriff unter der Schlagzeile »Unverschämte Querfunkerei gegen die Hoheit der NSDAP. Unerbetene Ratschläge und Sorgen um das Weihnachtsgeschäft« die Gelegenheit, sich in einer Polemik gegen die »voreilige Unverschämtheit« des Artikels in der Frankfurter Zeitung zu verwahren.
Eine Reihe anderer nichtnationalsozialistischer Blätter, vor allem solche deutschnationaler Couleur, ging allmählich dazu über, den Jargon der Parteipresse in ihre Berichterstattung einfließen zu lassen. So machte etwa die Schlesische Zeitun g vom 17. Februar 1934 eine »Blühende Emigranten-Hetze in Prag« aus und leistete sich eine Beilage »Volk und Rasse«. 50 Die Deutsche Allgemeine Zeitung bezeichnete eine in London geplante Kundgebung mit dem aus Deutschland emigrierten Albert Einstein als »Einstein-Rummel«, 51 während der deutschnationale Berliner Lokalanzeiger das Schlagwort vom »Weltjudentum« 52 übernahm und wie die Parteizeitungen vom »jüdischen Boykott« und der »jüdischen Boykotthetze« gegen Deutschland schrieb. 53
In das Jahr 1934 fiel außerdem der Beginn zweier spektakulärer, außerhalb Deutschlands ausgetragener juristischer Auseinandersetzungen, die von der NS-Presse als »Judenprozesse« bezeichnet wurden: Der Berner Prozess, in dem über die Authentizität der antisemitischen Propagandaschrift Die Protokolle der Weisen von Zion gestritten wurde, und die in Ägypten stattfindende gerichtliche Auseinandersetzung um die Verbreitung einer antisemitischen Broschüre durch dort ansässige deutsche Staatsbürger.
In beiden Fällen waren die Klagen von jüdischer Seite angestrengt worden, um die Verbreitung von nationalsozialistischen Hetzschriften antisemitischen Inhalts zu stoppen und vor allem die Unhaltbarkeit der darin aufgestellten Behauptungen durch unabhängige Gerichte festzustellen – vor den Augen der Weltöffentlichkeit. In beiden Verfahren waren regimetreue deutsche Gutachter beziehungsweise Prozessvertreter präsent.
Beide Prozesse wurden von der Parteipresse groß herausgestellt. 54 Der Angriff witterte den Anfang einer Prozesslawine, hinter der eine klare Strategie internationaler jüdischer Interessen stehe: »Man will die Behandlung der Judenfrage als Kernproblem ausschalten. Man will durch unzählige Beleidigungsklagen einzelner Juden, durch die Anzettelung zahlreicher Prozesse, die sich auf irgendwelche lokalen Vorschriften oder Gesetze stützen, das Diskussionsthema verschieben und so die Behandlung des ganzen Problems unmöglich machen.« 55
Der Prozess vor dem Berner Gericht begann im Oktober 1934, wurde nach wenigen Verhandlungstagen unterbrochen und im Mai 1935 zum Abschluss gebracht. Das Urteil war aus nationalsozialistischer Sicht eine eklatante Niederlage: Der Klage wurde stattgegeben, das Gericht bezeichnete die Protokolle als propagandistisches Machwerk und verbot ihre Verbreitung im Kanton Bern. 56
Da die Urteilsverkündung im Mai 1935 ohnehin in einen Zeitraum fiel, in dem die antijüdische Propaganda aus außenpolitischen Gründen vorübergehend erneut zurückgefahren wurde – worauf noch eingegangen wird -, beließ die Parteipresse es dabei, das negative Ergebnis eher kühl zu vermerken und nicht zum Gegenangriff überzugehen. Der Angriff etwa stellte fest: »Die Echtheit dieser Protokolle ist eine Angelegenheit der historischen Forschung: das Urteil eines Schweizer Kantonsgerichts berührt sie nicht.« 57 Der Westdeutsche Beobachter schrieb über das »merkwürdige Urteil von Bern«: »Das Judentum bekommt sein Urteil gegen die Protokolle, verliert aber nach Punkten.« 58 Der Völkische Beobachter hielt den Prozess für einen »Propagandatrick«, der allerdings misslungen sei, und gab seiner Meinung Ausdruck, dass »der Kampf um die Protokolle jetzt erst recht beginnen dürfte«. 59 Die Revision des Urteils im Jahre 1937 sollte der NS-Presse in der Tat Gelegenheit bieten, das Thema wieder aufzugreifen. 60
Die nichtnationalsozialistische Presse berichtete ebenfalls in erheblichem Umfang über die beiden Prozesse. Das Urteil, so die Anweisung des Propagandaministeriums an die Presse, 61 solle in entsprechenden Kommentaren zurückgewiesen werden; dies geschah zwar, doch gingen einige Zeitungen ausführlich auf die Urteilspassage ein, in denen die Protokolle als »Fälschung und Plagiat« bezeichnet wurden. 62 Die Frankfurter Zeitung etwa vermerkte das Urteil lakonisch unter der Überschrift »Die ›Protokolle der Weisen von Zion‹ fallen unter das Kantonsgesetz gegen
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