"Davon haben wir nichts gewusst!"
Schundliteratur«. 63
Die juristische Auseinandersetzung in Ägypten begann Ende Januar 1934 mit einem Verfahren vor dem Internationalen Gerichtshof in Kairo (in Ägypten existierte eine so genannte Konsulargerichtsbarkeit für Streitigkeiten, in die Ausländer involviert waren). 64 Der Gerichtshof, der unter dem Vorsitz eines italienischen Richters tagte, entschied, die Klage sei unzulässig, da der in Ägypten lebende Kläger von den in der Propagandabroschüre erhobenen Vorwürfen nicht betroffen sei. Dieser Erfolg wurde von der NS-Presse als »Der Deutsche Sieg über das Weltjudentum« (Völkischer Beobachter) beziehungsweise als »Riesenblamage des Weltjudentums« (Westdeutscher Beobachter) gefeiert. 65
Die Berufungsverhandlung, die im April 1935, also unmittelbar vor der Fortsetzung des Berner Prozesses, in Alexandrien stattfand und wiederum mit der Abweisung der Klage endete, gab der NS-Presse erneut Anlass zu antisemitischen Ausfällen: Während etwa der Westdeutsche Beobachter am 13. April klagte, »Juda missbraucht die Justiz«, sprach Der Angriff vom 20. April 1935 von der »Judenabfuhr in Kairo«. 66
Zahlreiche nichtnationalsozialistische Blätter berichteten ebenfalls ausführlich über den Prozess, zum Teil in überwiegend sachlicher Form, 67 zum Teil feierte man aber auch in ähnlichem Ton wie die NS-Presse die Niederlage des »Weltjudentums«. 68
Reaktionen der Bevölkerung
Für die zweite Jahreshälfte 1933 und insbesondere für das Jahr 1934 liegen mehr und mehr Berichte offizieller Stellen über die Reaktion der Bevölkerung auf die antijüdischen Maßnahmen vor. Diese zeigen nicht nur, dass Aktivisten der Partei immer wieder Boykottaktionen durchführten und dass diese Aktionen unter den Anhängern der Partei viel Zustimmung fanden; 69 die Berichte enthalten auch eine ganze Reihe von Hinweisen darauf, dass die übrige Bevölkerung weiterhin in jüdischen Geschäften einkaufte, 70 die »Aktionen« missbilligte und wenig Verständnis für die »Judenpolitik« des Regimes aufbrachte.
So hielt etwa die Gendarmerie im unterfränkischen Steinach an der Saale in ihrem Monatsbericht für August 1934 folgende bündige Einschätzung fest: »Das Judenproblem wird von der einheimischen Bevölkerung nach wie vor nicht erfasst.« 71 Die Stapostelle Potsdam äußerte in ihrem September-Bericht die Überzeugung: »Ohne Zweifel ist das Judenproblem nicht das Hauptproblem des deutschen Menschen.« Da jedoch »gegenwärtig im Auslande das Judentum einen Kampf auf Leben und Tod mit dem Deutschen Volke« führe und »der Jude in dem Augenblick, wo er die Grenze überschreitet, sich zum offenen Feinde Deutschlands« erkläre, sei »das Judenproblem tatsächlich zur Zeit mindestens ein Hauptproblem«. Immer wieder, so fährt der Bericht fort, »hört man hier im Lande dann die Phrase, dass der Jude doch auch ein Mensch sei, dass es auch gute Juden gäbe und der Jude vielfach sogar besser sei als der Deutsche, und was dergleichen Geschwätz mehr ist. Äußerungen über die Gefahr des Judentums werden abgemildert und die Leute, die sich mit Aufklärung befassen, gewissermaßen als Narren hingestellt.« 72 Der Leiter der Stapostelle Aachen äußerte in seinem Bericht für November 1934 die »Überzeugung, dass weiteste Kreise der Bevölkerung über die Grundideen des Nationalsozialismus völlig im Unklaren sind und es oft nicht verstehen, dass z.B. die Judenfrage in Deutschland geregelt werden muss«. 73 Und der Landrat in Brilon hielt im November 1934 fest, dass »in der Stadt Brilon das Vorgehen gegen jüdische Einwohner, denen man von Zeit zu Zeit die Fensterscheiben einwirft, von einem großen Teil der Bevölkerung missbilligt« werde. 74
Dass die antijüdischen Maßnahmen keineswegs populär waren, sollte sich einige Monate später, als die Partei ihre Angriffe gegen Juden weiter intensivierte, umso deutlicher zeigen.
Antisemitische Krawalle und Nürnberger Gesetze
Die antisemitische Kampagne der NSDAP und die Berichterstattung der Presse
1935 setzte die antisemitische Anhängerschaft der NSDAP eine zweite Welle judenfeindlicher Übergriffe und Ausschreitungen in Gang.
Nach ersten Aktionen gegen jüdische Geschäfte während des Weihnachtsgeschäfts 1934 nahmen die Ausschreitungen im Februar und März 1935 stark zu. Die für NS-Deutschland erfolgreich verlaufene Saarabstimmung vom 13. Januar und die Wiedereinführung der Wehrpflicht am 16. März spielten da eine erhebliche Rolle: Sie stärkten das
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