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"Davon haben wir nichts gewusst!"

"Davon haben wir nichts gewusst!"

Titel: "Davon haben wir nichts gewusst!" Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P Longerich
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erreichten diese Ausschreitungen ihren Höchststand; erst nach dem Erlass der Nürnberger Gesetze im September 1935 flauten sie merklich ab. 21
    Wieder hatte die Parteipresse für die antisemitische Kampagne eine zentrale Rolle gespielt. Nach ihrer vergleichsweisen Zurückhaltung im Juni und in der ersten Julihälfte startete sie im Zuge der Berliner Krawalle zu einem neuen, groß angelegten antisemitischen Feldzug durch. Waren im Völkischen Beobachter während der vorübergehenden Propagandapause zwischen Mitte Mai und Mitte Juli »nur« etwa ein bis zwei einschlägige Beiträge pro Woche erschienen, wartete das Blatt von Mitte Juli bis Mitte August täglich mit mindestens einem antisemitischen Artikel auf.
    Nachdem die Berliner Krawalle am 19. Juli durch Goebbels offiziell für beendet erklärt worden waren, berichtete die gesamte Parteipresse am nächsten beziehungsweise übernächsten Tag in großer Aufmachung über eine Pressekonferenz des Chefs der preußischen Polizei Kurt Daluege, in der dieser, gestützt auf angebliche Statistiken, »die Juden« als die eigentlichen Verursacher der Kriminalität im Reich darstellte. Offenbar wollte er deutlich machen, dass die Polizei bei der Bekämpfung der »jüdischen Gefahr« der Partei in nichts nachstand. 22
    Der Völkische Beobachter begann unmittelbar darauf mit einer Serie von Veröffentlichungen, in denen die Parteibasis regelrecht zu »Aktionen« aufgestachelt wurde. Die wieder zunehmenden antijüdischen Übergriffe empfahl das Blatt dabei offen zur Nachahmung. 23 Man wolle »Front gegen Staatsfeinde« machen, lautete der Kommentar am 21. Juli, und am nächsten Tag richtete sich die Hauptschlagzeile des Völkischen Beobachters gegen »Ausgeburten konfessioneller Hetze und jüdischer Frechheit«. Die Kampagne wurde sodann unter der Parole der »Abwehr jüdischer Frechheiten« (24. Juli) fortgeführt, man wehre sich gegen »Übergriffe der Juden« (27. Juli). Am 3. August erschien auf der Titelseite des Blattes ein Kommentar, in dem unter dem Titel »Anständige Juden?« zum »bedingungslosen Kampf gegen die Juden« aufgerufen wurde. Auch Der Angriff brachte in der zweiten Julihälfte und im August täglich antisemitische Beiträge, vom 10. August an unter dem Titel »Der getarnte Jude« sogar eine Serie über im Einzelnen vorgestellte Berliner Firmen, die angeblich in verdeckter Form von jüdischen Inhabern geleitet wurden.
    Im Westdeutschen Beobachter fand man in der zweiten Julihälfte und im August täglich meist mehrere einschlägige Beiträge. Die Ausgabe vom 25. Juli etwa vermeldete in einem Artikel den Ausschluss jüdischer Kommissionäre auf Versteigerungen (»Eine begrüßenswerte Maßnahme der Preußischen Domäne Ettville«), berichtete, es seien in Köln »sechs tschechische Juden festgenommen« worden, die »Schiebungen« vorgenommen hätten, gab ausführlich die Beschlüsse eines Gemeinderates wieder, der gegen die örtlichen Juden einen ganzen Katalog antijüdischer Bestimmungen erlassen hatte, meldete aus Bukarest: »Jüdische Kommunistenzentrale ausgehoben«, empörte sich über einen »jüdische[n] Mädchenschänder« (Wien) und »jüdische Schwindelbanken« (Amsterdam) und freute sich über »judenreine Bäder« (in Mönchen-Gladbach und Rheydt).
    Am 6. August »verlangte« der Westdeutsche Beobachter die »Kennzeichnung der Judengeschäfte«. Der Artikel ist ein interessantes Beispiel dafür, wie die NS-Presse versuchte, mit Hilfe von »Einzelaktionen« der Parteigenossen entsprechende behördliche Maßnahmen zu erzwingen.
    Keinesfalls habe man die Absicht, betonte der Artikel, Juden die wirtschaftliche Tätigkeit zu verbieten: »Es gibt andere Mittel, den Juden praktisch in seine Grenzen zu verweisen.« Wie vorzugehen sei, darauf gebe die »nächtliche Kennzeichnung jüdischer Geschäfte Ende voriger Woche« einen »Hinweis«. Die »Juden und Judenfreunde«, so der Westdeutsche Beobachter , »sehen darin freilich nur eine Hetze und rufen nach der Polizei. Sie haben recht damit, insofern, als sie Schutz gegen das eigenmächtige Vorgehen einzelner verlangen. Nicht recht haben sie aber, wenn sie sich gegen die Sache selbst wenden, gegen die Kennzeichnung jüdischer Geschäfte durch behördliche Anordnung. Eine solche Kennzeichnung durch behördliche Anordnung ist sehr wohl möglich. Ja, sie ist unseres Erachtens sogar notwendig, damit dem Zustande ein Ende gemacht wird, dass der Jude im nationalsozialistischen Deutschland weiter getarnt:

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