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"Davon haben wir nichts gewusst!"

"Davon haben wir nichts gewusst!"

Titel: "Davon haben wir nichts gewusst!" Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P Longerich
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irgendwelche Nuancierungen war kein Raum: Es erschienen weder eigene Berichte noch Kommentare. Auffällig ist jedoch eine Reihe von Beiträgen, die als flankierende Maßnahmen für die im Kern von der Parteipresse vorgetragene Propagandakampagne angesehen werden können.
    Die Deutsche Allgemeine Zeitung etwa hatte den schwedischen Film »Petterson & Bendel«, der den Anlass für die Krawalle bildete, bereits in ihrer Abendausgabe vom 13. Juli 1935 besprochen und dabei keinen Zweifel an der antisemitischen Ausrichtung des Filmes gelassen: Bendel, der in dem Film als Jude karikiert wird, stamme, so heißt es in der Besprechung vielsagend, »irgendwo aus dem Osten«. Der Film greife »ein sehr ernstes rassisches Problem mutig auf und spielt gesunden Lebenswillen gegen hemmungslosen Händlergeist aus«. Zwar wird man der Zeitung nicht unterstellen können, sie habe mit diesem Beitrag bewusst antijüdische Ausschreitungen provozieren wollen, doch trug dieser deutliche Hinweis auf den antisemitischen Charakter des Films in einer der führenden »bürgerlichen« Zeitungen der Stadt auf seine Weise zur Zuspitzung der Situation in der Reichshauptstadt bei. Am 25. Juli – mittlerweile hatte sich der »Volkszorn« in Berlin ausgetobt – wurde die Deutsche Allgemeine Zeitung ihrer Sonderrolle gerecht, die ihr vom Propagandaministerium im Hinblick auf außenpolitische Fragen zugewiesen worden war, als sie die internationale Presseberichterstattung über die Kurfürstendammkrawalle mit der über Nordirland verglich und in einem Kommentar von der »Scheinheiligkeit« der ausländischen Presse sprach.
    Auf ein ähnliches Ablenkungsmanöver stößt man auch in der katholischen Provinzpresse: Das katholische Bamberger Volksblatt warf »großen Teilen der Auslandspresse« in einem Wochenrückblick »ein ausgesprochenes Sensationsbedürfnis« bei der Behandlung der »harmlosen Zwischenfälle am Kurfürstendamm, die ihre Ursache in jüdischen Provokationen hatten«, vor, wo doch »andere Dinge für sie wesentlich näher liegen: siehe Arbeitskämpfe in USA, politische Demonstrationen in Frankreich und Religions- u. Rassenkrieg in England«. 32
    Die Schlesische Zeitung , um ein anderes Beispiel zu nehmen, reagierte am 6. August 1935 auf zwei stark antisemitisch akzentuierte Ansprachen, die Goebbels und Frick zwei Tage zuvor auf dem Gauparteitag in Essen gehalten hatten, mit einem »Leitkommentar« ihres Berliner Büros, in dem die Schuldzuweisung für die jüngsten Krawalle in Berlin eindeutig ausfällt. Dort heißt es, »die Juden« hätten »auf die wirtschaftspolitischen Bedingtheiten, mit denen auch die nationals. Staatsführung sich auseinandersetzen muss, spekuliert und von der Wirkung dieser Bedingtheiten eine Preisgabe des Parteiprogramms erhofft. Die Langsamkeit des Tempos in der Durchführung des Parteiprogramms hat sie zur Annahme einer Schwäche des Staates verleitet. Der Schritt zur Verhöhnung und Provokation war dann nur ein kleiner. Die Reden der beiden Minister beseitigen jeden Zweifel, dass der Staat und die Partei nicht gewillt sind, die Juden länger im Unklaren darüber zu lassen, welche Rolle sie künftighin allein in Deutschland spielen dürfen.« 33
    In den Wochenschauen des Jahres 1935 wurden die antisemitischen Ausschreitungen und Demonstrationen nicht thematisiert; es finden sich lediglich zwei Ausschnitte aus antisemitisch eingefärbten Redepassagen nationalsozialistischer Politiker: ein Zitat aus einer Streicher-Rede im Mai 1935 in Berlin sowie ein weiteres aus Goebbels’ Rede auf dem Essener Gauparteitag im August. 34

Reaktionen der Bevölkerung
    Im Unterschied zu 1933/34 liegt für die Reaktion der Bevölkerung auf die antisemitische Kampagne des Jahres 1935 eine Vielzahl von Berichten vor. 35
    Die fortlaufenden Lageberichte der sozialistischen Exilgruppe »Neu Beginnen« aus dem Reichsgebiet enthalten Augenzeugenberichte von den Kurfürstendammkrawallen, die übereinstimmend zu dem Ergebnis kommen: »Die Stimmung des Publikums war einheitlich ablehnend.« Die Vorfälle hätten sich »inmitten eines lautlosen Publikums, das durch seine äußerliche Reserviertheit seine Ablehnung ausdrückte«, zugetragen. 36 Allgemein könne man zum »Judenboykott« sagen, so die Berichte weiter, »dass die Bevölkerung sich ziemlich ablehnend verhält und dass es fast ausschließlich enttäuschte Nazis sind, die hier ihre Enttäuschung abreagieren. Aber trotz dem allgemeinen Unverständnis für die gegenwärtige

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