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"Davon haben wir nichts gewusst!"

"Davon haben wir nichts gewusst!"

Titel: "Davon haben wir nichts gewusst!" Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P Longerich
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›arbeiten‹ kann.«
    Auch die Braunschweiger Tageszeitung , in der Parteipresse im Allgemeinen nicht an vorderster Front der antisemitischen Hetze, intensivierte ihre antijüdische Propaganda Mitte Juli erheblich: Von diesem Zeitpunkt an brachte das Blatt bis Anfang September täglich mindestens einen einschlägigen Beitrag. Darunter befand sich am 20. Juli ein Aufruf des Gauamtsleiters der NS-Handelsorganisation (der Organisation des Einzelhandels in der NSDAP), der unter dem Titel »Noch nicht kapiert? Sage mir, bei wem du kaufst …« zum Boykott jüdischer Geschäfte aufforderte.
    Die Nationalsozialistische Schlesische Tageszeitung meldete am 14. Juli in einem groß aufgemachten Artikel die Verhaftung von »Rasseschändern«, die »ins Konzentrationslager« eingewiesen worden seien, und veröffentlichte erneut die Namen von »artvergessenen Frauenspersonen« und ihren jüdischen Partnern. 24 Der Miesbacher Anzeiger berichtete offen über – eindeutig durch die lokale Parteiorganisation initiierte – gewalttätige antisemitische Aktionen und Tumulte, so etwa am 7. August 1935 über die Schließung eines »Judenhotels« in Bad Tölz: »Die arischen Kurgäste im Verein mit der erwachten Einwohnerschaft empfinden es als unerträglich, die Genossen erklärter Rassenschänder in der Erholungszeit neben sich sehen zu müssen. Das kam auch in Versammlungen zum Ausdruck, ebenso in spontanen Kundgebungen der Bevölkerung vor dem Hauptsitz der Juden, dem Parkhotel. Nunmehr hat das Bezirksamt Tölz mit Zustimmung der Bayerischen Politischen Polizei das Parkhotel in Bad Tölz mit sofortiger Wirksamkeit bis auf weiteres geschlossen.« 25
    Am folgenden Tag berichtete das Blatt unter dem Titel »Jüdische Frechheit«, der namentlich genannte Vorsitzende der jüdischen Gemeinde in Fischbach habe von der SA angebrachte Propagandaplakate abgerissen. Daraufhin wurde der Mann durch Parteimitglieder aus seiner Wohnung geholt und gezwungen, während einer Kundgebung auf dem Marktplatz eines der Plakate hochzuhalten.
    Die nichtnationalsozialistische Presse beschränkte sich bei beiden antisemitischen Kampagnen des Jahres 1935 wie schon zuvor im Wesentlichen darauf, die antijüdischen Maßnahmen aufzuführen. Die Frankfurter Zeitung ging dabei erneut mit äußerster Akribie vor: In dem Blatt wurden die einzelnen Verfolgungsmaßnahmen detaillierter und in größerer Breite dargestellt als in der Parteipresse. Die Zeitung registrierte den Ausschluss von Juden aus Schwimmbädern und Kurorten, 26 Gerichtsurteile unterer Instanzen, 27 Demonstrationen wegen »Rassenschande« 28 oder antisemitische Gemeinderatsbeschlüsse in Provinzstädten 29 sowie antisemitische Verlautbarungen unterschiedlichster Art. 30
    Bei der Durchsicht der nichtnationalsozialistischen Zeitungen aus dem Jahr 1935 fällt jedoch ein entscheidender Unterschied zur früheren Berichterstattung auf: Kritische Kommentare zur NS-Judenverfolgung, die in den ersten Monaten des Jahres 1933 noch häufiger in der allgemeinen Presse zu finden waren, ja im Falle der Frankfurter Zeitung gelegentlich noch 1934 auftauchten, waren jetzt absolut tabu. Allerdings war die nichtnationalsozialistische Presse 1935 noch nicht vollständig dem System der »Sprachregelungen« unterworfen, wurde noch nicht im gleichen Umfang in die antisemitischen Kampagnen eingespannt wie die Parteipresse. Vor den Nürnberger Gesetzen gab es keine allgemeinen Anweisungen des Propagandaministeriums an die Presse, sich aktiv an den antisemitischen Kampagnen der Partei zu beteiligen. Zwischen der antisemitischen Hetze der Parteiblätter und der wesentlich distanzierteren und sachlicheren Berichterstattung der übrigen Presse ist daher noch ein deutlicher Unterschied auszumachen.
    Das gilt jedoch nicht während der Berliner Krawalle: Über sie berichtete die gesamte Presse in offensichtlich verordneter Uniformität. Die Zeitungen beschränkten sich bei der Schilderung der Krawalle vom 15. und 16. Juli 1935 weitgehend auf die Wiedergabe einer Meldung des vom Propagandaministerium kontrollierten Deutschen Nachrichtenbüros, ergänzt um eine Mitteilung der Stapostelle Berlin (»Eine Warnung an staatsfeindliche Elemente«) und einen Aufruf der Berliner SA-Führung zur Aufrechterhaltung der Disziplin. Ebenso stereotyp war die Berichterstattung über die Auswechslung des Polizeipräsidenten wenige Tage später und Goebbels’ Ankündigung, nun wieder die politische Führungsrolle in der Stadt zu übernehmen. 31 Für

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