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"Davon haben wir nichts gewusst!"

"Davon haben wir nichts gewusst!"

Titel: "Davon haben wir nichts gewusst!" Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P Longerich
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überregionalen Zeitungen eine Mitteilung der Polizeidirektion München lesen, die die jüngsten »Störungen« in München (über die der Leser hiermit zum ersten Mal unterrichtet wurde) auf regimefeindliche »Terrorgruppen« zurückführte. 11 Nun erließen verschiedene Parteidienststellen Aufrufe, die sich in scharfer Form gegen weitere, ähnlich gelagerte »Aktionen« wandten. 12 Die Münchner Ereignisse markierten damit einen Wendepunkt: Nun trat die Parteiführung den Unruhestiftern aus den einzelnen Reihen energisch entgegen und dämmte die Ausschreitungen – wenn auch nur für kurze Zeit – weitgehend ein. Entsprechend hielt sich die Parteipresse, spätestens nach Hitlers »Friedensrede« vom 21. Mai, in ihrer antisemitischen Agitation auffallend zurück, vor allem im Juni und in den ersten Julitagen. 13 Als Folge dieser Maßnahmen blieb es zumindest in einigen Regionen – etwa im Rheinland – relativ ruhig; 14 in anderen dagegen nahmen die Ausschreitungen bereits wieder zu. 15
    Nach dem Abschluss des deutsch-britischen Flottenabkommens am 18. Juni drängte die Parteibasis jedoch erneut auf eine Verstärkung der antisemitischen Aktivitäten, und tatsächlich kam es im Juli zu einer massiven Ausweitung der Übergriffe. Als Initialzündung für die Wiederaufnahme der antijüdischen Kampagne fungierten die Ereignisse in Berlin, die als »Kurfürstendammkrawalle« bekannt wurden.
    Bereits im Juni hatten in zwei Berliner Bezirken allabendlich Demonstrationen von HJ-Angehörigen vor jüdischen Geschäften stattgefunden. Gegen Ende des Monats hatten sie das ganze Stadtgebiet erfasst. Primär gingen die Jugendlichen gegen Eisdielen in jüdischem Besitz vor. Da die Ereignisse dem offiziellen Beschwichtigungskurs der Parteiführung zuwiderliefen, fanden sie in der allgemeinen Presse selbstverständlich keinen Niederschlag. 16
    Mitte Juli konzentrierten sich die Aktivitäten auf ein am Kurfürstendamm gelegenes Kino, das den antisemitischen schwedischen Spielfilm »Petterson und Bendel« aufführte. Am Abend des 15. Juli versammelte sich vor dem Kino eine größere Menschenmenge, die jüdische Passanten tätlich angriff und in die umliegenden Lokale eindrang, um jüdische Gäste regelrecht herauszuprügeln. Die Vorgänge wiederholten sich am folgenden Abend. Goebbels selbst steckte dahinter. Als Berliner Gauleiter hatte er sich bereits auf dem Gauparteitag vom 30. Juni gegen vermeintliche Versuche von Juden gewandt, »sich wieder breitzumachen«. 17 Und der von ihm herausgegebene Angriff hatte am 15. Juli zu dieser Demonstration aufgerufen, weil die Aufführung des Films angeblich durch jüdische Besucher gestört worden war: »Es gibt immerhin Nationalsozialisten, die etwas mehr Erfahrung in der Aufrollung von Sitzreihen besitzen als Kurfürstendammherren. Versteht man diesen Ton? Es ist wohl nötig, damit man uns wieder versteht […] Wir wissen, dass wir es mit einer routinierten Rasse zu tun haben, die immer wieder eine harte Hand verspüren muss […] Die harte Hand bedeutet: Juden werden in Berlin nicht noch einmal demonstrieren!«
    Die Krawalle in Berlin, die von der NS-Presse noch angeheizt wurden – die Nationalsozialistische Schlesische Tageszeitung etwa drohte: »Wir behalten uns vor, was noch immer Männer getan haben gegenüber Knaben, die Schläge verdienen« 18 -, führten aus der Sicht des Regimes jedoch zu einer unhaltbaren Lage: Nicht nur hatten sie unerwünschte Schlagzeilen in der internationalen Presse zur Folge, 19 sondern waren auch geeignet, die Autorität der Berliner Polizei zu untergraben, die sich in der offenen Konfrontation mit den Demonstrationen verunsichert gezeigt hatte.
    Gelöst wurde der Konflikt durch die Absetzung des Berliner Polizeipräsidenten Levetzow, auf den Goebbels geschickt die Verantwortung für die Ereignisse ablud. Die Schlagzeile des Angriffs vom 19. Juli sollte verdeutlichen, dass Goebbels – nach einer Besprechung mit dem neuen Polizeipräsidenten sowie den führenden Vertretern von preußischer Polizei, Stadtregierung, Partei und SA – erneut die politische Führung in der Hauptstadt übernommen hatte: »Berlin wird gesäubert von Kommune, Reaktion und Juden. Dr. Goebbels räumt in seinem Gau auf.« Mit diesem Beitrag gab Der Angriff die Linie für die übrige Parteipresse vor. 20
    Überall im Reichsgebiet organisierten Parteiaktivisten erneut antisemitische Angriffe, wobei sich die Aktionsmuster der ersten Monate des Jahres 1935 wiederholten. Im August

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