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"Davon haben wir nichts gewusst!"

"Davon haben wir nichts gewusst!"

Titel: "Davon haben wir nichts gewusst!" Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P Longerich
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Judenfrage im Sinne des Parteiprogramms, dem müsse die Reichsregierung Rechnung tragen, sonst erleide sie eine Einbuße an Autorität«.
    Das sollte auch die letzten zögernden Kollegen überzeugen. 75

Die Nürnberger Gesetze
    Im Hochsommer 1935 spitzte sich der Konflikt zwischen radikalen Parteianhängern und der Staats- und Parteiführung über das weitere Vorgehen in der »Judenfrage« zu. Aus Sicht der Regimespitze war es nunmehr sinnvoll, die illegalen »Aktionen« zu bremsen, aber gleichzeitig die antisemitische Mobilisierung der Partei für eine weitere Verschärfung der antijüdischen Gesetzgebung zu nutzen.
    Die in den Stimmungsberichten zum Ausdruck kommende Kritik an den antijüdischen Ausschreitungen war einer der Faktoren, der sich beim Übergang von illegalen Aktionen zu gesetzlichen Maßnahmen zunutze machen ließ. Ende Juli, Anfang August begannen führende Vertreter von Regierung und Partei, sich gegen die erneute Zunahme von »Einzelaktionen« zu wenden. Die Partei startete eine regelrechte Beschwichtigungskampagne, um ihre Anhängerschaft im Zaum zu halten. Gleichzeitig nahm man, begleitet von öffentlichen Ankündigungen, verstärkt die Arbeiten an neuen antisemitischen Gesetzen in Angriff. 76
    Die Bekanntgabe der später so genannten Nürnberger Gesetze während des Parteitages am 15. September 1935 war zwar hinsichtlich des Zeitpunkts eine Überraschung, der Inhalt des »Reichsbürgergesetzes« und des »Blutschutzgesetzes« entsprach jedoch dem, was in den vergangenen Monaten von der Parteibasis gefordert und als kommende gesetzliche Regelung in Aussicht gestellt worden war: der Ausschluss der Juden von der deutschen Staatsbürgerschaft und das Verbot der Heirat (beziehungsweise außerehelicher geschlechtlicher Beziehungen) zwischen Juden und Nichtjuden. Nur der von der Parteibasis so vehement mit ihren Boykottaktionen geforderte Ausschluss der Juden aus dem Wirtschaftsleben wurde in Nürnberg nicht per Gesetz geregelt; einen so massiven Eingriff hätte die – von der Wirtschaftskrise knapp erholte – deutsche Volkswirtschaft des Jahres 1935 kaum unbeschadet überstanden. 77
    Dass die Parteipresse die Nürnberger Gesetze teilweise enthusiastisch feierte, wird niemanden überraschen. Der Westdeutsche Beobachter etwa, Sprachrohr des Gaus, der in den vergangenen Monaten immer wieder durch spektakulären Radau-Antisemitismus aufgefallen war, begrüßte die neuen Gesetze am 16. September mit der Schlagzeile »Wir bekennen uns zur Reinheit der Rasse!«. Im Kommentar des Chefredakteurs heißt es unter anderem: »Angesichts der Rechnung, die das deutsche Volk dem Judentum zu präsentieren hat, angesichts all’ der Erniedrigung, der Unsumme des Schimpfes, der jahrzehntelangen Ausplünderung und der Schändung seiner Ehre – angesichts all’ dieser offenen Wunden darf sich die jüdische Rasse glücklich schätzen, der Großzügigkeit eines Adolf Hitlers zu begegnen. Jedes andere Volk würde seine Verderber für vogelfrei erklären, Deutschland aber setzt an Stelle des Ausnahmerechts staatlichen Schutz und gesetzliche Ordnung!«
    Der Völkische Beobachter dagegen reagierte auffallend zurückhaltend, was umso bemerkenswerter erscheint, da der Kommentar zu den Nürnberger Gesetzen aus der Feder von Gunter d’Alquen stammte, dem Chefredakteur des SS-Organs Das Schwarze Korps . Im Vordergrund des Kommentars steht das ebenfalls verkündete Flaggengesetz, das die Hakenkreuzfahne zur alleinigen Reichsflagge erklärte – die zu hissen Juden untersagt wurde -, und nur am Rande ist davon die Rede, dass die »Reinheit des Blutes als eine der Grundforderungen des Programms seinen Ausdruck im Rechtsfundament unseres Staates finden« müsse. 78 Auch Der Angriff konzentrierte sich in seiner Kommentierung ganz auf das Flaggengesetz. 79
    Denselben Weg wählte die nichtnationalsozialistische Frankfurter Zeitung , wenn auch aus anderen Gründen. Der Kommentar vom 17. September zum Abschluss des Parteitages und der Verabschiedung der Nürnberger Gesetze stellte das Flaggengesetz zwar als Triumph des Nationalsozialismus heraus, vermied aber eine Stellungnahme zu den beiden anderen antisemitischen Gesetzen; zu einer Bewertung sei es zu früh, man müsse noch die Ausführungsbestimmungen abwarten. Der Kommentator erklärte weiter, die »innenpolitischen Gesetze von Nürnberg sind durch eine Rede Adolf Hitlers eingeleitet worden«, ging jedoch in keiner Weise auf die innenpolitischen Passagen dieser Rede ein.
    Die

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