Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
"Davon haben wir nichts gewusst!"

"Davon haben wir nichts gewusst!"

Titel: "Davon haben wir nichts gewusst!" Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P Longerich
Vom Netzwerk:
katholische Kölnische Volkszeitung vom 16. September beschränkte sich in ihrem Kommentar ebenfalls auf das Flaggengesetz und wich so einer Stellungnahme zum Reichsbürger- und zum Blutschutzgesetz aus. Dasselbe gilt für das katholische Bamberger Volksblatt .
    Während die Schlesische Zeitung die Nürnberger Gesetze begrüßte, suchte der nach Nürnberg entsandte Sonderkorrespondent des Berliner Tageblatt s vom 16. September den Gesetzen eine zukunftsweisende, positive Perspektive abzugewinnen. Mit dem so genannten Blutschutzgesetz werde »der Judenfrage in vielen Praktiken des täglichen Lebens ein sehr weitgreifender gesetzmäßiger Rahmen gegeben. Was die Eheschließung und die damit zusammenhängenden Fragen angeht, so wird hier ein Verfahren legalisiert, das in den letzten Monaten die Standesämter in wachsendem Maße bereits angewandt haben, und andererseits werden Handhaben gegen Exzesse geschaffen, die auch in der jüngsten Zeit die Öffentlichkeit stark beschäftigt haben. Der Führer hat davon gesprochen, dass diese Maßnahmen dazu dienen sollen, das deutsche Volk ›in ein erträgliches Verhältnis zum jüdischen Volk‹ zu bringen. Diese volksmäßige Trennung, die mit der Errichtung des Jüdischen Kulturbundes erst vor kurzem schon Ausdruck fand, wird hier weitergeführt. Selten hat der nationalsozialistische Staat so Schritt gehalten mit den Forderungen, die ihm seine Bewegung gestellt hat. Wir verstehen, wie stark hier das bekannte Wort vom vorjährigen Parteitag ›die Partei befiehlt dem Staat‹ seine Verwirklichung gefunden hat.«
    Die Deutsche Allgemeine Zeitung gab ebenfalls ihrer Befriedigung über die »geordnete« Vorgehensweise des Regimes Ausdruck. Sie griff in ihrem Kommentar Hitlers Wort von dem nun ermöglichten »erträglichen Verhältnis« zwischen Deutschen und Juden auf und schrieb, durch das Blutschutzgesetz werde für »den jüdischen Teil der Bevölkerung, der in unserer Mitte lebt […] eine Daseinsmöglichkeit geboten«. Die gesetzliche Regelung der »Judenfrage«, so die Deutsche Allgemeine Zeitung , lasse künftig keinen Raum für »Einzelaktionen« der Parteibasis mehr. 80
    Grundsätzliche Kommentarrichtlinien zur »Judenfrage« gab das Propagandaministerium erst nach Erlass der Nürnberger Gesetze bekannt. Als Anfang Oktober 1935 vor der Pressekonferenz der Reichsregierung ein Vertreter des Rassenpolitischen Amtes der NSDAP erschien, um, ausdrücklich im Namen Hitlers, gegen die vor allem von Julius Streicher so genannte Imprägnationslehre Stellung zu beziehen – die besagte, dass bereits der einmalige Geschlechtsverkehr einer »arischen« Frau mit einem »jüdischen« Mann zu einer dauerhaften Schädigung des Erbguts und zur »Bastardisierung« späterer Nachkommen führe -, geschah dies wohl, um die radikalen Antisemiten in der Partei im Zaum zu halten. Bereits Mitte Oktober aber wurde der Presse mitgeteilt, »dass nach Erlass der grundsätzlichen Judengesetze keine weiteren Erörterungen über diese Frage, insbesondere keine Vorschläge in der Öffentlichkeit, zugelassen werden können«. Auch die – für die Festlegung des Judenbegriffs entscheidenden – Durchführungsverordnungen zu den Nürnberger Gesetzen sollten weder groß aufgemacht noch kommentiert werden. Die antisemitischen Beiträge der Parteipresse gingen schlagartig zurück und blieben bis Ende 1935 auf einem niedrigen Niveau. Die zweite antisemitische Welle war beendet.
    In den übrigen Medien kamen die Nürnberger Gesetze entsprechend nur am Rande vor. So brachte zum Beispiel die Ufa als einzige Wochenschau einen Bericht vom Reichsparteitag 1935, ließ jedoch die Verkündung der Nürnberger Gesetze aus. 81 Der Rundfunk übertrug zwar Hitlers Ansprache aus Anlass der Verabschiedung der Nürnberger Gesetze; die Übertragung wurde jedoch während der anschließenden Verlesung und Begründung der Gesetze durch Göring, die Goebbels laut seinem Tagebuch »fast unerträglich fand«, abgebrochen. 82

Reaktionen der Bevölkerung
    Laut David Bankier haben die in Nürnberg erlassenen antijüdischen Gesetze die Bevölkerung weniger stark beschäftigt als das dort ebenfalls verkündete Flaggengesetz; Bankier wertet dies als Beleg für die »stillschweigende Zustimmung« der deutschen Bevölkerung zu den weitreichenden gesetzlichen Maßnahmen des Regimes in der »Judenfrage«. 83 Eine genaue Analyse zeigt jedoch, dass diese Behauptung durch das insgesamt greifbare Berichtsmaterial nicht gedeckt ist. Im Gegenteil:

Weitere Kostenlose Bücher