Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
"Davon haben wir nichts gewusst!"

"Davon haben wir nichts gewusst!"

Titel: "Davon haben wir nichts gewusst!" Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P Longerich
Vom Netzwerk:
gesondert zu kommentieren. 63
    Die Eröffnung der Ausstellung »Der ewige Jude« am 8. November 1937 in München, bei der Goebbels und der Nürnberger Gauleiter Julius Streicher sprachen, bot der Parteipresse erneut einen Anlass für antisemitische Ausfälle. 64 In der übrigen Presse wurde die Eröffnung ausführlich gewürdigt. Vorberichte unterstrichen mehr oder weniger stark die Intentionen der Schau. 65
    Zwischen Mitte Dezember 1937 und Mai 1938 widmeten die Parteiblätter außerdem antijüdischen Maßnahmen ausländischer Regierungen viel Aufmerksamkeit: Das, allerdings nur vierzig Tage währende, radikalantisemitische Regime in Rumänien unter Ministerpräsident Octavian Goga wurde als Bestätigung des antisemitischen Kurses des NS-Regimes herausgestellt, 66 die antisemitische Politik der ungarischen Regierung unter Ministerpräsident Kálmán Darányi ebenfalls gewürdigt: Die Verabschiedung eines antijüdischen Sondergesetzes, durch das ein Numerus clausus für eine ganze Reihe von Berufen eingeführt und etwa 15 000 jüdische Bürger um ihre professionelle Existenz gebracht wurden, erschien der NS-Presse als wesentlicher Einstieg in eine »Judenpolitik« nach deutschem Vorbild. 67 Die nichtnationalsozialistische Presse verfolgte diese Ereignisse zum Teil ausführlich, verzichtete jedoch auf den triumphierenden Ton, der in der Parteipresse vorherrschte, und darauf, sie jeweils im Einzelnen zu kommentieren. 68
    Mit dem »Anschluss« Österreichs im März 1938 gerieten etwa 200 000 Juden unter die Herrschaft des NS-Regimes. Im Zuge der Machtübernahme entwickelten die österreichischen Nationalsozialisten einen erheblichen antisemitischen Aktionismus: Es kam zu massiven Misshandlungen von Juden, von der Partei eingesetzte oder selbst ernannte »Kommissare« übernahmen die Geschäftsführung jüdischer Unternehmen. Seit April 1938 brachte der vom Reich eingesetzte Reichsstatthalter in Wien, Josef Bürckel, diese ungesetzliche »Arisierung« unter seine Kontrolle und sorgte dafür, dass die Enteignung jüdischen Eigentums planmäßig, im Rahmen eines Programms zur »Rationalisierung« und »Strukturbereinigung« erfolgte. 69
    Trotz dieses erheblichen antisemitischen Schubs traten in der Parteipresse nach dem »Anschluss« antisemitische Themen eher in den Hintergrund. Die Gewalttätigkeiten gegen die österreichischen Juden wurden nur indirekt thematisiert: Die Presse und auch die Wochenschau berichteten über die Fluchtbewegung der Wiener Juden. 70 Die massive »Arisierung« jüdischen Besitzes wurde dagegen in der Parteipresse nur am Rande erwähnt. 71 Es war die bürgerliche Presse, die der Enteignung jüdischen Besitzes in Österreich weit mehr Aufmerksamkeit schenkte. 72
    Die massiven Gewalttaten gegen Juden in Österreich zogen seit März 1938 vermehrt Übergriffe gegen Juden im Reichsgebiet nach sich. So berichtete der Regierungspräsident von Unterfranken über »Ausschreitungen, die in einer Reihe von Orten anlässlich der Eingliederung Österreichs gegenüber Juden verübt wurden«. 73 Andere Dienststellen meldeten, Fensterscheiben seien eingeschlagen, Häuser in anderer Weise beschädigt und Juden körperlich angegriffen worden. 74
    Auch die Anstrengungen, die seit 1933 weitgehend unkoordiniert erfolgte Verdrängung der deutschen Juden aus der Wirtschaft nun im Rahmen einer umfassenden und systematischen Anstrengung zum Abschluss zu bringen, wurden intensiviert. 75 Im April 1938 leitete der Berliner Gauleiter Goebbels eine Kampagne gegen die Berliner Juden ein, deren Ziel darin bestand, durch Ausschreitungen, behördliche Schikanen und groß angelegte polizeiliche Verhaftungsaktionen die Juden vollkommen von der übrigen Bevölkerung zu isolieren und sie aus der Stadt zu vertreiben.
    Im Mai begann die Berliner Parteiorganisation, des Nachts Fensterscheiben jüdischer Geschäfte zu beschmieren oder einzuwerfen, und setzte diese Aktivitäten im Juni verstärkt fort: Dabei wurden nicht nur alle jüdischen Geschäfte durch Parolen »gekennzeichnet«, sondern auch Synagogen und Bethäuser demoliert. Mittlerweile hatte die Gestapo am 31. Mai auf diese Äußerungen des »Volkszorns« reagiert und in einer Großrazzia in einem Café am Kurfürstendamm über dreihundert Personen, ganz überwiegend Juden, festgenommen. Goebbels forderte nun die Berliner Polizei massiv zu noch radikalerem Vorgehen auf und erreichte, dass im Rahmen einer am 13. Juni beginnenden reichsweiten Verhaftungsaktion gegen »Asoziale«

Weitere Kostenlose Bücher