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"Davon haben wir nichts gewusst!"

"Davon haben wir nichts gewusst!"

Titel: "Davon haben wir nichts gewusst!" Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P Longerich
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Die außenpolitischen Rücksichtnahmen, die bis dahin einer weiteren Radikalisierung der »Judenpolitik« entgegengestanden hatten, entfielen nun; außerdem hatte sich die wirtschaftliche Situation so weit konsolidiert, dass die jetzt avisierte endgültige Ausschaltung der Juden aus der Wirtschaft keine gravierenden ökonomischen Rückwirkungen mehr befürchten ließ. Im Gegenteil: Das Regime benötigte das noch vorhandene jüdische Vermögen dringend, um eklatante Lücken bei der Finanzierung der Aufrüstung zu schließen.
    Im Zuge der Umstellung auf den Expansionskurs und der Vorbereitung der Bevölkerung auf einen außenpolitischen Krisenzustand verfolgte das Regime die Politik, die Juden als inneren Feind zu brandmarken – als einen Feind, den es endgültig und vollkommen aus der deutschen Gesellschaft auszuschließen galt. Aggressionen und Ängste, die innerhalb der Bevölkerung durch den riskanten außenpolitischen Kurs und die verstärkte innenpolitische Repression geweckt werden mochten, sollten auf dieses Feindbild umgelenkt werden. 49
    Eingeleitet wurde der radikale Kurs mit der prononciert antisemitischen Parteitagsrede Hitlers vom 13. September 1937, die ganz im Zeichen der »Abrechnung« mit dem »jüdischen Bolschewismus« stand. 50 In der zweiten Oktoberhälfte 1937 folgten antisemitische Ausschreitungen in Danzig. 51 In den ersten Monaten des Jahres 1938 erließ das Regime eine ganze Serie von antijüdischen Ausnahmegesetzen: Sie betrafen die Änderung jüdischer Namen, den Status der jüdischen Kultusgemeinden, die ihre öffentlich-rechtliche Stellung verloren, den Ausschluss von Juden aus weiteren Berufen, die Versagung von Steuervorteilen und anderes mehr. 52
    Die Parteipresse steigerte bereits seit dem August 1937 die Zahl ihrer antisemitischen Beiträge. Diese Kampagne hielt nahezu unvermindert bis zum Frühjahr 1938 an. Der Völkische Beobachter veröffentlichte beispielsweise zwischen Oktober 1937 und Ende Februar 1938 nahezu täglich einen Beitrag mit antisemitischer Tendenz (nur im Dezember gab es einen leichten Rückgang). Schwerpunkte dieser Kampagne waren insbesondere Beiträge zur Frage der »jüdischen Kriminalität«, zahlreiche Artikel über den angeblichen jüdischen Einfluss im Ausland und entsprechende antisemitische »Abwehrmaßnahmen« sowie »kulturpolitische« und »wissenschaftliche« Beiträge zum Thema. Die gleichen Tendenzen lassen sich in der übrigen Parteipresse feststellen. 53
    Die Berichterstattung über die antisemitischen Erklärungen Hitlers und führender NS-Funktionäre auf dem Parteitag im September 1937 markierte den Auftakt der Kampagne. 54 Ende Oktober/Anfang November 1937 folgten ausführliche Berichte über die Revisionsverhandlung im so genannten Berner Judenprozess, die mit einer Zurückweisung der von jüdischer Seite eingereichten Klage endete und entsprechend von der Parteipresse als »Niederlage des Weltjudentums« beziehungsweise als »Vernichtungsurteil über die Hetze des internationalen Weltjudentums« gewertet wurde. 55
    Das Propagandaministerium nahm das Revisionsurteil zum Anlass, detaillierte Sprachregelungen und Kommentarrichtlinien an die gesamte Presse auszugeben. 56 Die Frankfurter Zeitung kommentierte das Urteil gleichwohl zurückhaltend: Politische Prozesse seien nun einmal kein geeigneter Weg, um Streitfragen wie diese zu klären, ob die Protokolle der Weisen von Zion echt seien oder nicht. Das »letzte und entscheidende Wort« habe die »wissenschaftliche Forschung« zu sprechen. 57 Ähnlich nüchtern war der Kommentar des Berliner Tageblatts . 58
    Große Teile der bürgerlichen Presse übernahmen jedoch den triumphierenden Ton der Parteiblätter. So sprach die Deutsche Allgemeine Zeitung in einem Kommentar von einer »schweren Niederlage des internationalen Judentums«, 59 für die Schlesische Zeitung war das Urteil ein »wichtiger Erfolg gegen die jüdische Propaganda«, 60 die Münchner Neuesten Nachrichten werteten den Richterspruch als »moralische Verurteilung der jüdischen Kläger«. 61
    Die antijüdischen Ausschreitungen in Danzig spielten demgegenüber in der Presseberichterstattung eine untergeordnete Rolle: Der Völkische Beobachter veröffentlichte sogar eine Erklärung, in der sich die Danziger NSDAP von den Ereignissen distanzierte, während die Redaktion des Westdeutschen Beobachters unter der Schlagzeile »Die Juden provozieren« berichtete. 62 Die übrige Presse vermerkte teilweise die Übergriffe, ohne sie jedoch

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