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"Davon haben wir nichts gewusst!"

"Davon haben wir nichts gewusst!"

Titel: "Davon haben wir nichts gewusst!" Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P Longerich
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München zurückgekehrt war. 96
    Ein jüdischer Mechaniker aus Hamburg, der Ende 1941 noch in die USA emigrieren konnte, wusste zu berichten, dass die Arbeiter in seiner Firma durchgehend oppositionell zum Regime eingestellt seien und auf die Einführung des Gelben Sterns mit deutlichen Kundgebungen der Solidarität reagiert hätten. 97 Kate Cohn, eine Berliner Jüdin, die im Februar 1942 in die Schweiz geflohen war und im Herbst nach Großbritannien gelangte, berichtete, die Sternträger seien zum Teil voller Mitleid angestarrt worden, andere Passanten hätten Mitgefühl und Sympathie gezeigt. Insgesamt hätte die Kennzeichnung keineswegs Begeisterung ausgelöst. 98
    Der schwedische Botschafter in Deutschland erklärte seinem britischen Kollegen in Stockholm in einem Gespräch, die Berliner Bevölkerung sei vollkommen damit beschäftigt, das Alltagsleben zu bewältigen; für sie sei die »Judenfrage« genauso uninteressant wie die anderen Themen, denen sich die Propaganda ständig widme – ob es sich nun um Deutschlands Größe, die Freimaurerei, die kommunistische Gefahr oder was auch immer handele. 99
    Andere Augenzeugenberichte in den Akten des Public Record Office vermitteln einen Eindruck von der Abwehrreaktion, mit der Deutsche reagierten, wenn sie auf die Kennzeichnung der Juden angesprochen wurden. Ein finnischer Geschäftsmann, der sich zu einem kurzen Besuch in Deutschland aufgehalten hatte, erzählte, seine deutschen Gesprächspartner hätten auf Fragen zum Gelben Stern stets mit dem Hinweis reagiert, es sei allgemein bekannt, dass die Deutschen in den USA mit einem großen D auf ihrer Kleidung gekennzeichnet würden. 100 Das Gleiche wusste der ehemalige Sekretär der US-Handelskammer in Frankfurt am Main, van d’Elden, zu berichten, der sich, abgesehen von einer mehrwöchigen Internierung Anfang 1942, bis zu seiner Ausweisung im Mai 1942 relativ frei in Frankfurt bewegen durfte. Seine deutschen Gesprächspartner, so van d’Elden, seien durchgängig der Meinung, die Deutschen in den USA würden mit einem Hakenkreuz gekennzeichnet. Die meisten Deutschen stünden also unter dem Eindruck, ihre Landsleute würden in ähnlicher Weise verfolgt wie die Juden in Deutschland. 101
    Die ablehnende oder doch zumindest zurückhaltende Reaktion der Bevölkerung auf die Einführung der Kennzeichnungspflicht ist sogar der Berichterstattung des SD zu entnehmen, auch wenn hier als dominierende Antwort Zustimmung dokumentiert wird. So heißt es in den Meldungen aus dem Reich in einem zusammenfassenden Bericht: »Die Verordnung über die Kennzeichnung der Juden wurde vom überwiegenden Teil der Bevölkerung begrüßt und mit Genugtuung aufgenommen, zumal eine solche Kennzeichnung von vielen schon lange erwartet worden war. Nur in geringem Umfange, vor allem in katholischen und in bürgerlichen Kreisen, wurden einzelne Stimmen des Mitleids laut. Vereinzelt wurde auch von ›mittelalterlichen Methoden‹ gesprochen. Vorwiegend in diesen Kreisen wird befürchtet, dass das feindliche Ausland die dort lebenden Deutschen mit einem Hakenkreuz kennzeichnen und gegenüber diesen zu weiteren Repressalien greifen werden. Überall ist das erste Auftreten von gekennzeichneten Juden stark beachtet worden. Mit Erstaunen wurde festgestellt, wie viele Juden es eigentlich noch in Deutschland gibt.« 102
    Verschiedene regionale und lokale Stimmungsberichte meldeten hingegen eindeutig und uneingeschränkt positive Reaktionen auf die Einführung des Abzeichens. 103 Soweit in den Berichten Kritik geübt wurde, bezog sie sich vor allem auf die angeblich zu weitgehenden Ausnahmeregelungen der Kennzeichnungsverordnung, insbesondere für in »Mischehen« lebende Juden. 104 Die zum Teil sehr detaillierten, auf die bestehende Rechtslage Bezug nehmenden Vorschläge für eine Verschärfung der Verordnung (etwa in den Meldungen aus dem Reich vom 2. Februar 1942) 105 machen allerdings deutlich, dass es sich hier weniger um Volkes Stimme handelt, als vielmehr um Parteifunktionäre, die sich hinter der angeblich populären Empörung verbargen.
    Bezeichnend für dieses Vorgehen ist etwa, dass die NSDAP-Kreisleitung Augsburg-Stadt in ihrem Lagebericht für September selbst die Forderung nach Ausdehnung der Kennzeichnung erhob, ohne sich auf die »Stimmung« zu beziehen – während die Kollegen von der Kreisleitung Augsburg-Land das gleiche Anliegen verfolgten, sich aber auf das mangelnde Verständnis der Bevölkerung beriefen. 106
    Bemerkenswert ist auch

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