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"Davon haben wir nichts gewusst!"

"Davon haben wir nichts gewusst!"

Titel: "Davon haben wir nichts gewusst!" Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P Longerich
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reflektierte vor allem die Einschätzung in Hitlers Hauptquartier. Dort herrschte auf Grund der militärischen Erfolge (insbesondere in den Schlachten im Raum Kiew sowie bei Brjansk und Wjasma) geradezu Euphorie, ein Umstand, der sich in den offiziellen Verlautbarungen zur militärischen Entwicklung deutlich niederschlug. Am 23. September gab Hitler gegenüber Goebbels seiner Hoffnung Ausdruck, »die Kämpfe im Osten bis zum 15. Oktober im wesentlichen abgeschlossen haben zu können«. 115 Bei ihrem Treffen am 3. Oktober fand Goebbels den Diktator immer noch in äußerst optimistischer Stimmung vor, davon überzeugt, die »sowjetische Wehrmacht in vierzehn Tagen im wesentlichen zertrümmert« zu haben. 116 Goebbels, der sich in der ersten Oktoberhälfte nachhaltig um eine Dämpfung dieses seiner Ansicht nach übertriebenen Optimismus bemühte, drohte gegen Mitte des Monats sogar in einen gewissen Gegensatz zu dieser vom Führerhauptquartier ausgehenden positiven Grundstimmung zu geraten. 117
    In dieser Situation begann am 15. Oktober die vier Wochen zuvor durch Hitler angeordnete Deportation der Berliner Juden. Das Protokoll der Propagandakonferenz vom 23. Oktober enthält folgende Anweisung des Ministers zur Behandlung der Massenverschleppung: »Zum Abtransport der ersten 20 000 Juden führt der Minister aus, dass über diese Frage so viele Lügen verbreitet würden, dass es zweckmäßig erscheine, über dieses Thema überhaupt nichts zu sagen. Um zu verhindern, dass ausländische Agenturen nähere Einzelheiten erfahren, sind weder Telefonate noch Kabel herauszulassen. Es wird lediglich dazu gesagt, dass es sich um eine kriegswirtschaftliche Maßnahme handelt, über die nicht berichtet wird. Herr Hinkel empfiehlt, hinzuzufügen, dass die Juden nicht in ein Lager überführt werden. Der Minister hält diesen Vorschlag für gut; auf die vielen Anfragen ist zu antworten: Die Juden kommen in kein Lager, weder in ein Konzentrationslager noch in ein Gefängnis. Sie werden individuell behandelt. Wohin sie kommen, kann aus kriegswirtschaftlichen Gründen nicht gesagt werden. Jedenfalls ist Vorsorge getroffen, dass die, die zum größten Teil bisher nicht an der Arbeit teilgenommen haben, jetzt in den Arbeitsprozess eingeschaltet werden.« In der Inlandspropaganda solle zur Frage der Deportationen hingegen »überhaupt nicht Stellung genommen werden«. 118
    Einen Tag später notierte Goebbels in seinem Tagebuch: »Allmählich fangen wir nun auch mit der Ausweisung von Juden aus Berlin nach dem Osten an. Einige tausend sind schon in Marsch gesetzt worden. Sie kommen vorerst nach Litzmannstadt. Darob große Aufregung in den betroffenen Kreisen. Die Juden wenden sich in anonymen Briefen hilfesuchend an die Auslandspresse, und es sickern auch in der Tat einige Nachrichten davon ins Ausland durch. Ich verbiete weitere Informationen darüber für die Auslandskorrespondenten. Trotzdem wird es nicht zu verhindern sein, dass dieses Thema in den nächsten Tagen weitergesponnen wird. Daran ist nichts zu ändern. Wenn es auch im Augenblick etwas unangenehm ist, diese Frage vor einer breiteren Weltöffentlichkeit erörtert zu sehen, so muss man diesen Nachteil schon in Kauf nehmen. Hauptsache ist, dass die Reichshauptstadt judenrein gemacht wird; und ich werde nicht eher ruhen und rasten, bis dieses Ziel vollkommen erreicht ist.«
    In der Propagandakonferenz vom 25. Oktober räumte Goebbels seinen Mitarbeitern gegenüber ein, es sei »auch mit begütigenden Nachrichten nicht zu verhindern, dass die Juden, die inzwischen gewittert haben, dass sie aus Berlin herausgeholt werden sollen, nun an die Auslandskorrespondenten, die amerikanische Botschaft usw. schreiben. – So ist es auch unzweckmäßig, generell anzuordnen, dass Juden in den Verkehrsmitteln Platz zu machen haben; Aufgabe der Partei ist es, hier dem einzelnen das richtige Taktgefühl und psychologische Einfühlungsvermögen anzuerziehen. Darüber hinaus sind in den U-Bahnen und sonstigen Verkehrsmitteln Schilder anzubringen, in denen […] ausgeführt wird: ›Die Juden sind unser Unglück. Sie haben diesen Krieg gewollt, um Deutschland zu vernichten. Deutsche Volksgenossen, vergesst das nie!‹ Damit ist für eventuelle Zwischenfälle eine Basis geschaffen, auf die erforderlichenfalls hingewiesen werden kann.«
    Am 26. Oktober ordnete Goebbels an, die antijüdische Propaganda wieder zu intensivieren. 119 Des weiteren heißt es im Protokoll der Propagandakonferenz, es befänden

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