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Dawning Sun (German Edition)

Dawning Sun (German Edition)

Titel: Dawning Sun (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Gernt
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Füßen.
„Was ist das? Was soll das?“ Josh musste sich an der Wand abstützen, um nicht umzufallen. Tom hatte ihm beim Kotzen und Heulen zugesehen, ohne sich zu rühren?
„Träume.“ Erneutes Schulterzucken.
„Davon träumst du? Umrahmst mit Elfen und Blümchen, wie ich …“
Tom nickte langsam.
„Wolltest du mich in Sicherheit wiegen mit deinen Zärtlichkeiten? Hast du mich vor Nico und den anderen beschützt, um das exklusive Folterrecht zu halten?“
Josh schob sich an der Wand entlang, bis er seine Schuhe erreichte. Dabei ließ er Tom nicht einen Moment aus den Augen, der allerdings keine Anstalten machte, ihn aufzuhalten. Er versuchte gar nicht erst, die Schuhe zu schnüren, schlüpfte lediglich hinein, angelte nach seiner Jacke, schob sich weiter in Richtung Tür. Tom betrachtete ihn mit einem lauernden Ausdruck. Wie ein Raubtier schien er sprungbereit, obwohl er die Muskeln entspannt hielt. Ungehindert konnte Josh die Tür aufreißen. Gehetzt raste er die Treppen hinab, drehte sich dabei nicht um. Sollte Tom ihn verfolgen, hätte er keine Chance, das war ihm klar. Dazu war dieses … dieses Schwein zu ausdauernd, und gegen dessen Taekwondo-Tricks war Josh machtlos.
Er war bereits fast zuhause, bevor er anhielt. Die Straße hinter ihm war leer. So leer wie seine Gedanken, die nicht begreifen konnten, was er da gesehen hatte. So leer wie sein Herz, das so brutal gebrochen worden war.
Als er vor seinem Elternhaus stand, verließ ihn kurz der Mut. Er wollte sich seinen Eltern genauso wenig stellen wie gestern. Eher noch weniger, jetzt, wo er seinen letzten Halt verloren hatte.
Der Rucksack. Er hat meine Schulsachen. Und die Klamotten.
Inklusive Kondompackung. Da war Sascha wohl zu optimistisch gewesen. Halt, nein – Sascha hatte seine Schulsachen mit nach Hause genommen. Gut so. Auf alles andere konnte er verzichten. Josh wartete vergeblich auf das Gefühl von Erleichterung. So ähnlich hatte er sich vor gar nicht langer Zeit schon einmal gefühlt. Da hatte er darum gebetet, dass Nico und die anderen endlich von ihm ablassen würden, damit die grausamen Schmerzen endlich nachließen.
Der Unterschied dieses Mal war, dass der Schmerz in seinem Inneren lag, und er die Gewissheit ertragen musste, dass es nicht aufhören würde. Nicht allzu schnell jedenfalls.
Ein Auto fuhr an ihm vorbei. Es war gerade eher unklug, sich auf offener Straße blicken zu lassen, fiel ihm ein. Er fummelte seinen Schlüsselbund aus der Jackentasche und betrat so lautlos wie möglich das Haus. Jemand rumorte in der Küche. Niemand war zu sehen. Josh huschte die Treppe hoch in sein Zimmer. Das war kein Gefängnis, wie er kürzlich irrtümlich gedacht hatte. Das war der Platz, wo er sich wirklich sicher fühlen durfte. Sein Fluchtort. Sein Zuhause. Der Kleiderschrank wartete bereits auf ihn, mit Dunkelheit und Stille. Kaum hatte er sich mit Kissen und Decke hinein verkrochen, da spürte er endlich Erleichterung. Wenn es einen Platz auf dieser Welt gab, wo er glauben durfte, dass irgendwann, irgendwie alles wieder gut werden würde, dann hier.
     

30.
     
Es klingelte an der Haustür. Eine halbe Minute später klopfte es bei Josh. Er brummte etwas, das man als „Herein“ interpretieren könnte, eigentlich hatte er keine Zeit für Störungen. Josh war damit beschäftigt, ‚Macbeth’ von Shakespeare zu lesen. Parallel auf Englisch und Deutsch, indem er beide Versionen auf dem Schreibtisch nebeneinander gelegt hatte. Ein Lektürenschlüssel lag links neben ihm bereit, rechts hatte er seinen Notizblock. Sein PC wartete betriebsbereit auf den Hilfseinsatz, sollte er eine Vokabel weder kennen noch erraten können. Nachdem er rund eine Stunde im Schrank gelegen hatte, war er wie ferngesteuert zu seinen Büchern getrieben worden. Josh brauchte das jetzt. Solange er den Charakter von Lady Macbeth analysierte, Shakespeares Stilmittel in ihrer Wirkung mit der deutschen Übersetzung verglich und über die Frage nachdachte, inwieweit Macbeth für seine Taten verantwortlich gemacht werden konnte, wo er doch von den Hexen getäuscht und von seiner ehrgeizigen Frau bedrängt worden war, solange konnte er die Zeichnungen aus seinem Bewusstsein vertreiben. Die kniffelige Frage, ob Shakespeares Darstellung der weiblichen Rollen dem literarischen wie gesellschaftlichen Standard der damaligen Zeit entsprochen hatte, welche Werke des großen Meisters dafür vergleichsweise herangezogen werden sollten und welche anderen Autoren als Beispiel dienen

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