Dawning Sun (German Edition)
offensichtlich nichts dagegen, sondern sprach ohne Unterbrechung weiter: „Die Gerüchteküche sagt, dass Nico in Untersuchungshaft sitzt, die anderen drei hingegen nach dem Verhör laufen gelassen wurden. Außerdem heißt es, dass Nico möglicherweise Jugendhaft aufgebrummt bekommt, wegen Körperverletzung, sexuellem Missbrauch, Anstiftung zu Gewalttaten in drei Fällen und Erpressung, unerlaubtem Waffenbesitz – das war kein Küchenmesser, das er da spazieren getragen hatte! – und versuchtem Mord. Falls er sich tatsächlich in der Neonazi-Szene rumgetrieben haben sollte, hat er möglicherweise noch mehr auf dem Kerbholz … Angeblich soll der Account, auf den das Video hochgeladen wurde, zu einem bekannten Rechtsextremisten führen. Das erzählt man sich so alles. Was davon stimmt, weiß keiner. Das heißt, man erzählt sich noch viel mehr, aber das sind die Sachen, die ich für glaubwürdig halte.“
„Leon kommt vielleicht ganz gut davon“, murmelte Josh. „Er hat Nico beim ersten Mal von Schlimmeren abgehalten, er hat versucht mich vor dem zweiten Angriff zu warnen und mich währenddessen aus der unmittelbaren Gefahrenzone weggeschleppt. Ich weiß nicht, ob das in Nicos Sinn gewesen ist.“
Er spürte, wie Tom allmählich zappelig wurde und immer wieder zu seinen Klamotten hinüberschielte. Josh fand zwar, dass er in der geliehenen Jeans und dem schwarzen Rollkragenpulli recht schick aussah, aber er wollte Tom nicht drängeln. Zu gar nichts.
Eine Weile blieben sie noch aneinandergeschmiegt sitzen, dann befreite sich Tom und rückte von ihm ab.
„Ich habe nach wie vor Angst, dir weh zu tun“, murmelte er, ohne Josh anzusehen.
„Du bist stärker als ich und mit deiner Kampfkunst kannst du mich jederzeit plattmachen“, sagte Josh vorsichtig. Er wusste nicht, wie er sich diesem Thema am besten nähern sollte. „Ist es nicht bedeutsamer, dass du es wirklich nicht willst, als das, was dieser Marco dir eingeredet hat? Ich meine, hat er auch nur einmal gesagt, dass er sich um dich sorgt? Hat er gefragt, ob es dir gut geht? Und damit meine ich nicht nur die, die – Endphase, sondern die ganzen Jahre, die du mit ihm verbracht hast. Hat er sich je um dich gekümmert? Sich deine Probleme angehört und versucht dir zu helfen?“
Verdutzt starrte Tom ihn an, bevor er sich nach hinten an die Wand lehnte. Er schien mit geschlossenen Augen intensiv nachzudenken. Josh brachte in der Zwischenzeit das Tablett zurück in die Küche, um ihm etwas Freiraum zu geben.
„Papa kommt heute erst um 19.00 Uhr nach Hause“, merkte seine Mutter in diesem nebensächlichen Ton an, als wäre es eine unwichtige Information, die eigentlich niemanden interessieren müsste. Sie sah müde aus, ihre Schlaf- und Beruhigungstabletten lagen offen auf der Küchenanrichte. Unbeteiligt schaute sie zu, wie Josh die Lebensmittel im Kühlschrank und das Geschirr in der Spülmaschine verstaute. Es ging ihr schlecht. Zumindest aber versuchte sie, alles in den Griff zu kriegen.
Ich könnte ihr Blumen schenken, dachte er plötzlich. Früher hatte er ihr häufig ohne Anlass ein paar Blumen mitgebracht, worüber sie sich stets gefreut hatte. Das letzte Mal war lange her … Und wann sie zuletzt von seinem Vater Blumen bekommen hatte, ohne dass ein Geburtstag oder Hochzeitstag ihn dazu verpflichtet hätte, wollte er nicht einmal spekulieren. Sascha war sowieso der Meinung, dass man einer Frau, die einen eigenen Blumenladen besaß – mehr oder weniger – keine Blumen schenken sollte. Josh hingegen wusste, wie sehr sie diese Geste liebte.
Wie sie da saß, als würde sie auf etwas warten …
Sie ist fertig. Alles ist geputzt, sauber, ordentlich. Knapp zehn Uhr morgens und sie hat nichts mehr zu tun.
„Mama?“, fragte er zögerlich. Irgendetwas nagte an ihm.
„Hm?“
„Warum bist du nicht im Laden? Du könntest beim Verkauf helfen statt zu warten, dass wir zum Essen nach Hause kommen, oder?“
Die Verblüffung auf ihrem Gesicht wechselte rasch zu schmerzlicher Verzweiflung, bevor sie zu ihrem alten Lächeln zurückfand.
„Du weißt doch, dass dein Vater nicht will, dass ich zu viel im Laden arbeite. Er hat Angst, dass ich mich überlaste.“
Sofort hatte Josh das besorgte Gesicht seines Vaters vor Augen. Die vielen Gelegenheiten, bei denen er davon sprach, wie empfindlich und sensibel und wenig belastbar die Mama war. Dass sie Rücksicht nehmen und ihr helfen sollten.
Josh zog einen Stuhl heran und setzte sich nah zu ihr hin.
„Mama, was willst du
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