Dead: Band 1 - Roman (German Edition)
FoodFair-Supermarkt. Er ist hundemüde und genießt die Abendluft, denn er hat stundenlang Lebensmittelpakete ausgehändigt, Kisten von hier nach da geschleppt und Böden gewischt. Das Verteilungszentrum hat keine Klimaanlage, deswegen ist es schweißtreibende Schwerarbeit, das Camp zu versorgen. Sein zerknittertes Priestergewand, erst kürzlich gereinigt und geflickt, ist schon wieder fällig. Er könnte auch eine Rasur und einen Haarschnitt brauchen. Aber der heutige Tag war gut. Er zieht eine zerdrückte Packung Winston aus der Tasche, steckt sich eine an und seufzt. Die kühle Luft fühlt sich gut an, und er ist froh, sich endlich auszuruhen zu können. Wenn er aufgeraucht hat, wird er sich die Zähne putzen und mit den anderen Arbeitern aufs Ohr hauen, und zwar auf seinem alten Schlafsack, der auf den Reissäcken liegt, die ihm als Matratze dienen.
Im Camp geht es noch immer laut zu, doch in den Abendstunden nimmt der Lärm allmählich ab. Der Parkplatz des FoodFair ist voll mit Zelten, Wohnmobilen und Menschen, die um Kochfeuer herumsitzen. Paul nimmt einen weiteren Zug, atmet aus und genießt den relativen Frieden. Ihm fällt ein: Die letzte friedliche Zigarette hat er geraucht, als Pittsburgh in Flammen stand. Als die Infizierten durch die Fahrzeugreihen strömten. Als er den Molotow-Cocktail geworfen hat. Als er jemanden mit seiner Remington in zwei Hälften zerlegt hat. Der Bradley brüllt noch in seinem Kopf.
Er beruhigt seinen Geist mit einem kurzen Dankgebet, weil er noch lebt und gute und nützliche Arbeit tun kann. Vielleicht will Gott es gar nicht hören, aber da er ja allgegenwärtig ist, kann er es auch nicht überhören.
» Sind Sie’s, Paul? «
Paul sieht eine Gestalt auf einer Bank sitzen und geht auf sie zu. Es ist Pastor Strickland. Er schirmt mit einer Hand eine brennende Kerze ab und hält ein altes Foto in der anderen.
» Halten Sie es für unmöglich, jemanden zu lieben, obwohl er infiziert ist? « , fragt Strickland.
» Nein « , sagt Paul. » Ich halte es nicht nur für möglich, sondern für unvermeidlich. «
Strickland lächelt, und seine Augen werden feucht.
» Aber sie hassen uns dafür « , fährt Paul fort. » Das ist am schwersten zu ertragen. «
Strickland wischt sich mit der Hand die Tränen ab. » Die Liebe ist ebenso schwer « , sagt er. » Sie haben heute gute Arbeit geleistet, Paul. «
» Danke. «
» Sie bedeutet Ihnen etwas, nicht wahr? Die Arbeit, meine ich. «
» Nur sie macht mir klar, wer ich bin « , antwortet Paul. Diese Einsicht überrascht ihn selbst. Er möchte etwas länger darüber nachdenken, doch sein müder Geist kann sich nicht mehr konzentrieren.
» In den nächsten Tagen wird es einen Aufmarsch geben « , sagt Strickland. » Einen Aufmarsch der Christen, die versuchen, die Dinge hier richtig zu machen. Wenn man zusammenarbeitet, kann man mehr erreichen als allein. Vielleicht hören Sie sich mal an, was sie zu sagen haben. Ich werde auch da sein. «
Paul schlägt auf seinen Nacken, um einen Moskito zu töten. » Mach ich. «
Die nächsten Sekunden gehen in Schweigen vorbei. Paul tritt seine Zigarette mit dem Stiefelabsatz aus. Strickland bläst seine Kerze aus. In der Ferne heult ein Hund.
» Kann ich Ihnen etwas erzählen? « , fragt Pastor Strickland leise in der Finsternis. » Kann ich mich mit Ihnen von Kollege zu Kollege unterhalten? Kann ich Ihnen kurz etwas beichten? «
» Natürlich. «
» Ich habe mich immer gefragt, ob man Christ sein und trotzdem bei Beerdigungen weinen kann. Ich will damit sagen, dass wir es doch feiern müssten, wenn jemand in den Himmel kommt. Hier ist es auch so. Die Welt stirbt. Warum betrauern wir ihren Tod? Warum klammern wir uns an unsere jämmerliche Existenz? Vielleicht ist es so, Paul: Vielleicht ruft der Herr uns nach Hause. Wenn ja, warum wehren wir uns gegen den Ruf? Warum widersetzen wir uns Gottes Willen? Und warum fühlt es sich so grauenhaft an? Warum schmeckt es wie Asche? Warum erfüllt es uns mit Trauer? «
Paul kennt die Antwort nicht, aber er versteht die Kernfrage. Er hat sie sich früher wiederholt selbst gestellt.
» Ich weiß es nicht « , sagt er.
Er weiß genau: Sara hätte eine interessante Antwort. Sein Geist rast zurück zu der Schlacht der Infizierten mit dem Mob und zu dem, was passiert ist, als die Infizierten den letzten Posten der Kämpfer überrannt haben: skizzenhafte Bilder von ihm selbst, wie er die Straße entlanggeht und zu seiner Ehefrau zurückkehrt. Doch er kann
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