Dead: Band 1 - Roman (German Edition)
werdenden Himmel aufragt. Die Luft kühlt sich ab, und er spürt das Kitzeln des Nieselregens auf seinem Gesicht. Dumpfer Donner grollt im fernen Äther, als stellte Gott seine Möbel um. Tja, für eine Apokalypse ist dies ja genau das richtige Wetter, denkt er. Ein grauer Himmel, vor dem schwarze Vögel schwärmen. Die letzten beiden sonnigen Maiwochen waren fürs Ende der Welt ziemlich unpassend. Die Verstorbenen gehen blind an blühenden Blumen vorbei. (Die Erde bleibt.) Die Toten verwesen auf saftig grünem Gras und in verwilderten Gärten, werden langsam von Bakterien, Insekten, Vögeln und anderen Tieren gefressen. Von der Scholle an sich. (Ja, die Erde bleibt.) Paul fragt sich, ob Gott, der ebenfalls bleibt, angesichts der grässlichen Leiden der Menschheit so gleichgültig ist wie das Wetter, oder ob der Schöpfer, wie das Gras, die Tiere und Insekten, irgendetwas davon hat.
Der Wind frischt auf, aus dem Nieselregen wird ein Frühlingsschauer. Die Überlebenden stellen Eimer auf, um das Wasser aufzufangen, und beschließen, den Niederschlag im Krankenhaus auszusitzen statt im Bradley. Sie umfahren eine Ansammlung verlassener Rettungsfahrzeuge und Leichen und betreten einen Gebäudeteil, der offenbar die Notaufnahme war, nun aber aussieht wie ein ausgebrannter Schlachthof. An diesem Ort wimmelt es von Anzeichen extremer Gewalt. Der Boden ist voller verkohlter Leichen, die unter einer dicken Staub- und Ascheschicht liegen. Die Wände sind mit getrocknetem Blut verschmiert.
» Als die ersten Infizierten aufgewacht und in die Stadt geströmt sind, brachten die Erstversorger die Opfer ihrer Gewalttaten hierher, ins Krankenhaus « , sagt Ethan. » Geschenkverpackt für den Rest. «
» Sieht so aus, als wären dann einige besorgte Bürger hier aufgetaucht, um den Laden mit Molotow-Cocktails in Brand zu stecken. « Wendy tritt in die Asche und erzeugt ein schwarzes Staubwölkchen.
Es ist unheimlich hier. Wenn man von den verkohlten Toten absieht, wirkt das Krankenhaus auf gespenstische Weise verlassen. Es ist nicht schwer, sich Ärzte und Schwestern vorzustellen, die durch den lauten Raum eilen, um schwer arbeitende Erstversorger in Empfang zu nehmen, die gebrochene und sterbende Menschen ins Gebäude bringen, damit ihnen geholfen wird. Doch hier hat die Infektion angefangen. Nach der Brüllerei wurden die Gestürzten hierher und in Notpraxen gebracht. Drei Tage später kamen sie zu sich und infizierten jene, die rund um die Uhr arbeiteten, um ihr Leben zu erhalten. Sie schlachteten ihre Familienangehörigen ab, die kamen, um nach ihnen zu sehen. In den frühen Morgenstunden gingen sie, von der einfachen Programmierung des Virus angetrieben, in die Stadt hinaus, um anzugreifen, zu überwältigen und zu infizieren.
Nun ist hier ein Leichenhaus. Ein toter Ort. In einer Ecke entdeckt Sarge einen zerknautschten Rollstuhl. Die Wand darüber ist voller Einschusslöcher. An der Wand befestigte elektronische Geräte hängen nutzlos herum. Schwarze Asche, von den Schritten der Menschen aufgeworfen, treibt durch die Luft; ätzend in der Nase, bitter auf der Zunge.
Ethan begutachtet die Mienen der anderen Überlebenden, sucht Zuspruch, findet aber keinen. Die anderen sehen so lädiert aus, wie er sich fühlt. Dieser Ort strahlt eine fast übernatürliche Aura aus. So vertraut ihm das Krankenhaus auf die eine oder andere Art auch ist, auf mancherlei Weise fühlt es sich an wie das Unbekannte.
Paul wünscht sich, die Toten wären ins Leben zurückgekehrt, um die Lebenden zu fressen, dass es in der Hölle tatsächlich keinen Platz mehr gibt und das Ende aller Tage gekommen ist. Dann gäbe es nämlich einen Beweis für eine übernatürliche Ursache statt einer lumpigen Bazille, die jemand in einem Labor erzeugt hat, um Menschen zu töten. Dann gäbe es einen Beweis für die Existenz der Hölle, des wahren Bösen und Satans. Denn wenn Satan existiert, gibt es auch Gott, und wenn es Gott gibt, ist der Tod auch nicht das Ende, sondern der Anfang. Das lebenslange Leiden des Menschen ist nichts im Vergleich zu einer Ewigkeit der Wonne in der unmittelbaren Gegenwart Gottes. Die Toten auferstehen zu sehen, ist gleichbedeutend mit dem Erleben des Endes aller Tage und damit auch des Endes des Glaubens – dem Beginn der Gewissheit. Mit solcher Gewissheit wäre Paul bereitwillig in die Umarmung des Todes gegangen, hätte sich in Stücke reißen und verzehren lassen. Hat Christus am Kreuz nicht mehr gelitten? Welchen Nutzen hat diese
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