Dead Beautiful - Deine Seele in mir
einmal stieg die Wut in mir hoch. Es war ungerecht. Warum mussten meine Eltern sterben? Warum musste ich diejenige sein, die sie fand? All die schönen Erinnerungen, die ich an sie hatte, waren versaut – durch das Bild ihrer Leichen im Wald.
Mit einem Schlag haute ich die Bügel von der Stange. Klappernd fielen sie zu Boden und ich machte weiter, pfeffertedie Schmuckschatulle hinterher, die Sammlung von Haarbändern und Spangen, die Schals und Handschuhe und Hüte, und dann fiel ich zu einem schluchzenden Häufchen Elend zusammen, die Kleider meiner Mutter an die Brust gepresst. Was würde mein Vater sagen, wenn er hier wäre? Ich dachte an letztes Jahr zurück, als ich es nicht ins Lacrosseteam geschafft hatte. »Durchs Weinen ziehst du die Probleme nur in die Länge«, hatte er gesagt. »Warum gehst du nicht lieber trainieren? Dann schaffst du es nächstes Jahr.« Mit dem Saum eines ihrer Kleider wischte ich mir die Tränen ab, stand auf und stellte mich vor den Spiegel. Ich wollte etwas von meiner Mutter in mir erkennen, sah aber nur mein unscheinbares schweres Haar, den Pony, der mir immer in die Augen hing, mein sommersprossiges Gesicht und meine grauen, nun rot geweinten und verquollenen Augen. War ich wie sie?
Ich durchforstete die Schubladen meiner Mutter, bis ich eine Schere gefunden hatte. Vor dem Spiegel packte ich eine Haarsträhne. Mit geschlossenen Augen säbelte ich sie ab. Ich machte weiter, bis die Hälfte davon weg und mein Haar nur noch schulterlang war. Mit einem Gefühl der Befreiung schüttelte ich meinen Kopf, und die Strähnen flatterten zu Boden. Zufrieden zog ich ein Kleid vom Bügel und probierte es an. Zu meiner Erleichterung passte es genau.
Nachdem ich drei Koffer voll mit Röcken, Kleidern, Blusen, Strickjacken, Strickstrumpfhosen und flauschigen Wintermänteln gepackt hatte, fühlte ich mich hinreichend gerüstet für alles, was der neuenglische Winter für mich bereithalten mochte.»Du hast dein Haar geschnitten«, bemerkte mein Großvater entgeistert, als ich zum Essen herunterkam.
Ich nickte. »Ich wollte was verändern.«
»Es sieht sehr hübsch aus«, sagte er.
Ich musste ein bisschen lächeln. »Danke schön.«
Nachdem wir Sandwiches und Gurkensalat zu Mittag gegessen hatten, lud mich Dustin zu einer Partie Krocket ein. Mit einem Krocketschläger in der Hand folgte ich ihm auf den Rasen hinter dem Haus. Schon nach einer Viertelstunde war er mir sechs Schläge voraus. Mit gerunzelter Stirn machte ich mich bereit für meinen Einsatz, denn Niederlagen konnte ich nur schwer ertragen. Ein Augenblick tiefster Konzentration, dann schwang ich meinen Schläger mit voller Wucht. Ich beobachtete, wie der Ball auf die andere Rasenseite flog und meterweit entfernt von dem Tor landete, wo er eigentlich hätte landen sollen. Dustins Kichern quittierte ich mit einem finsteren Blick, bevor ich zu meinem Ball hinübereilte. Er lag am Waldrain, wo eine Gruppe Birken ihren Schatten auf das Gras warfen. Dustin rief nach mir, aber ich ignorierte ihn und bückte mich. Als meine Finger den Ball berührten, schreckte ich zurück.
Er lag genau neben einem Brei aus Federn und getrocknetem Blut, aus dem Knochen in unnatürlichen Winkeln herausstachen. Ich konnte nicht anders: Ich schrie auf.
Dustin kam in meine Richtung gerannt, für sein Alter und seinen steifen Anzug legte er eine erstaunliche Geschwindigkeit an den Tag. Gerade hatte er nach einem der Gärtner gerufen, als mein Großvater dazustieß, um der Aufregung auf den Grund zu gehen. »Räumen Sie das weg, bitte«, sagte er zum Gärtner und tätschelte mir den Rücken.»Nur ein toter Vogel. Nichts, wovor man Angst haben muss.«
»Klar«, sagte ich und richtete mich auf. Es war peinlich, einen solchen Aufstand gemacht zu haben. Das kannte ich schon von mir. Sogar als Kind hatte ich dauernd irgendetwas Totes gefunden.
»Lass uns hineingehen.«
Über dem Anwesen dämmerte es bereits. Zu Abend aßen mein Großvater und ich an einem außerordentlich langen Tisch und er versuchte sich an einer harmlosen Unterhaltung über meine schulischen Vorlieben. Ich sagte, ich sei mir da nicht sicher. In Geschichte war ich immer gut gewesen. Meine Eltern hatten beide Geschichte an der Highschool unterrichtet; mein Vater hatte sich auf die alten Griechen und meine Mutter aufs römische Reich spezialisiert. Mich mit meinen guten Geschichtsnoten hatten sie immer ermutigt, zu Hause noch mehr darüber zu lesen.
Er hakte nach. »Aber wofür interessierst du
Weitere Kostenlose Bücher