Dead Beautiful - Unendliche Sehnsucht: Roman (German Edition)
durch die Wogen, bis sich in dem Nebel eine kleine Felseninsel abzeichnete.
Die Brandung rollte landeinwärts, brach sich am Ufer und trug das winzige Boot an Land. Ich sah, wie Miss LaBarge ins Wasser sprang und dem Strand entgegenstapfte, ihr Boot im Schlepptau. Fast hatte ich sie eingeholt, da erhob sich vor mir eine dunkle Gestalt aus den Wellen. Einen Augenblick später erschien eine weitere, dann noch eine – es schienen Dutzende zu sein; dunkle, unregelmäßige Schatten, klein, glitschig. Mit hektischen, fieberhaften Bewegungen krochen sie auf den Strand und eilten dann über die Felsen auf Miss LaBarge zu. Durch die Finsternis tauchte ich dem Ufer entgegen. Als ich sie endlich fand, drosch sie schon wild mit dem Ruder auf die Kreaturen ein. Über unseren Köpfen hallte durch die Nacht ein gellender, ohrenbetäubender Schrei.
Das Läuten des Telefons riss mich aus dem Schlaf. Ich setzte mich im Bett auf und blinzelte. Wieder so ein nasser Augustmorgen, so früh, dass sich die Sonne noch kaum hinter den Wolken hervorgewagt hatte. So erleichtert war ich, mich in meinem eigenen Zimmer wiederzufinden, dass ich mich zurück in die Kissen plumpsen ließ und lauschte, wie der Regen gegen die Fensterscheiben meines großväterlichen Hauses prasselte. Schon den ganzen Sommer über hatte ich diese seltsamen, düsteren Träume gehabt,denen nur eines gemeinsam war: In jedem von ihnen suchte ich verzweifelt nach irgendwem.
Auf dem Kissen neben mir lag ein altes Buch meiner Mutter über die Geschichte der Wächter. Mein Großvater hatte mir zu Beginn des Sommers einen ganzen Stapel davon überreicht. Sie sollten mich lehren, was ich war, wie jeder in meiner Familie: ein Wächter; ein Mensch, dem das Talent in die Wiege gelegt worden ist, den Tod zu fühlen. Oder genauer gesagt, die Untoten. Nach Abschluss meiner Ausbildung würde es meine Pflicht sein, die Untoten aufzuspüren und sie durch Beerdigung zur Ruhe zu bringen. Diese Aufgabe verfolgte mich, seitdem ich von der Welt der Wächter und der Untoten erfahren hatte.
Ich warf einen Blick auf das Buch. Die Seite, die ich gestern Abend gelesen hatte, behandelte die Wanderung der Wächter in den Mittleren Westen, illustriert mit einem Foto des Eriesees. Bei seinem Anblick hatte mich eine solche Panik überkommen, dass es mir die Luft abschnürte. Auf einmal hatte sich alles schwer angefühlt und ich hatte es nicht ertragen, das Foto noch länger anzusehen. Das war das Letzte, woran ich mich vor dem Einschlafen erinnern konnte.
Noch einmal klingelte das Telefon und gab dann auf. Die Uhr auf meinem Nachttisch zeigte erst kurz nach halb sechs, früh sogar für das Personal des Herrenhauses. Zu dieser Tageszeit waren höchstens die Küchenhilfen auf den Beinen. Draußen eilte jemand den Flur entlang, dem Schlafzimmer meines Großvaters entgegen. Drei Klopfer an seine Tür, Schritte, dann Stimmen.
Ich warf die Decken ab, schlüpfte aus dem Bett und lugte auf den Flur hinaus. Die Tür meines Großvaters stand einenSpaltbreit offen und ließ einen schmalen Lichtstreif über den Teppich fallen.
Ich schlich den Gang entlang und postierte mich bei einem Wäscheschrank.
»Wen haben Sie gefunden?« Die Stimme meines Großvaters klang harsch. »Wo war sie?«
Stille.
»War sie hinter einem von ihnen her? Wo war ihr Partner?«
Ein Schatten zog an der Tür vorbei und verstellte dem Licht den Weg. Ich gab mir alle Mühe, mitzubekommen, um was es sich drehte, aber die Stimme meines Großvaters drang nur gedämpft hinaus. Er knallte den Hörer zurück auf die Station.
Ohne Vorwarnung flog die Tür auf und mein Großvater stürmte in den Flur, sich noch im Gehen den Mantel überziehend. Dustin, der Gutsverwalter, mühte sich hinter ihm mit dessen Aktenkoffer und Reisetasche ab. Ich duckte mich in den Wandschrank, hockte mich neben einen Korb mit Schmutzwäsche und wartete ab. Als ich mir sicher war, dass beide die Treppe hinuntergegangen waren, huschte ich zurück in mein Zimmer und eilte zum Fenster.
Durch die Jalousie wehte es feucht ins Zimmer. Von meinem Beobachtungsposten aus konnte ich Dustin sehen, wie er mit zwei Taschen jonglierte und zugleich einen Regenschirm über meinen Großvater hielt, während der zur Haustür hinauseilte, auf seinen Aston Martin zu. Dustin verstaute die Taschen im Kofferraum und ich sah zu, wie das Auto die Auffahrt hinabschlingerte, abbog und außer Sichtweite brauste.
Meine Versuche, wieder in den Schlaf zurückzufinden, endeten
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