Dead Beautiful - Unendliche Sehnsucht: Roman (German Edition)
dienstfertig und entschwand mit seiner Last.
»Wo warst du?«, beharrte ich, ihm hinterherstiefelnd.
»Das erkläre ich dir später«, sagte er, ohne sich umzudrehen. »Jetzt habe ich einiges zu erledigen.«
Ich wartete in der Tür zu seinem Arbeitszimmer, während er die Papiere auf seinem Tisch durchwühlte, bis er das Gesuchte in den Händen hielt. Ohne mich eines Blickes zu würdigen, hob er den Hörer und wählte die Telefonnummer, die auf dem Blatt stand.
»Ja, hallo. Ist da das Haus von Miss LaBarge?« Einhändig lockerte er seine Krawatte.
»Wer ist das?«, bewegte ich die Lippen.
»Ja, danke sehr«, fuhr mein Großvater fort, lehnte sich über den Tisch und scheuchte mich auf den Flur hinaus. Während seine Bürotür ins Schloss fiel, hörte ich ihn noch sagen: »Jeffrey, hallo. Hier spricht Brownell Winters. Mein aufrichtiges Beileid …«
Da ich sonst nichts zu tun hatte, ließ ich mich auf den Boden gleiten und wartete ab. Ich wollte mithören, konnte aber nur vereinzelte Phrasen verstehen: »Aha.« »Sehr merkwürdig.« »Ja, das würde ich mir sehr gerne einmal ansehen, wenn es nicht zu viele Umstände bereitet.«
Seine gedämpfte Stimme schwoll an und ab, bis schließlich die Tür aufging.
»Ach, Renée«, sagte mein Großvater, als er fast über mich stolperte. »Du bist noch hier.«
»Natürlich bin ich noch hier. Worum ging es eben?«
Statt mir die Frage zu beantworten, rollte er seine Hemdsärmel nach unten und schloss sie an den Handgelenken mit Manschettenknöpfen. »Zieh dich an«, sagte er. »Wir machen eine Reise.«
Vermont war grün und hügelig. Die halbe Fahrt verbrachte ich im Dämmerschlaf, mit Träumen von Molkereibetrieben, Getreidesilos, Garagenflohmärkten und Gartenschmuck. Der Kofferraum war so vollgestopft mit all den Schaufeln und dem Wächterzubehör meines Großvaters, dass das Auto schwer nach hinten sackte und bei jeder Unebenheit in der Straße lautstark wummerte. Er hatte die Ausrüstung mitgenommen für den Fall, dass wir auf einen Untoten treffen sollten, obwohl es ziemlich unwahrscheinlich schien, dass der Untote, der Miss LaBarge getötet hatte, jetzt noch das Haus ihrer Kindheit heimsuchen sollte. Eigentlich wollte ich verdrängen, was wir vorhatten, aber alles um mich herum erinnerte mich an Miss LaBarge: Beinahe konnte ich sie sehen, wie sie in ihrem übergroßen Pullover an den Fenstern der Wollgeschäfte und Bäckereien stand und an einem Scone knabberte.
Ihr Haus lag an einer idyllischen Straße voller Schlaglöcher. Es war ein verwittertes, in den Hang gegrabenes Holzhäuschen, dessen Dach schon völlig mit Gras überwachsen war. Bis auf ein Auto vor der Einfahrt wirkte es völlig verlassen. Auf der Vorderseite waren zwei Fenster kaputt.
Wir parkten neben dem Haus vor einem kleinen Gemüsegarten. »Nachdem wir der Familie kondoliert haben, werde ich ein paar Minuten brauchen, um das Haus zu untersuchen – nach Hinweisen auf den Untoten, hinterdem sie her war. So verlangt es die Wächterordnung«, erklärte mein Großvater, während wir den steinernen Pfad zum Hauseingang emporstiegen. »Ich möchte, dass du mich begleitest.«
»Wächterordnung?«, fragte ich nach. »Machst du das für jeden Wächter, der getötet wird?«
»Nicht unbedingt ich, aber jemand vom Wächterhochgericht. Früher war ich Mitglied, doch jetzt im Ruhestand übernehme ich nur noch Fälle, die mir besonders am Herzen liegen. Annette LaBarge war eine der engsten Freundinnen deiner Mutter. Das ist das Mindeste, was ich tun kann, um ihr Andenken zu ehren.«
Kletterrosen rankten sich am Haus empor und zerrten am Dachfirst, als wollten sie es niederreißen. Ich schluckte, nickte meinem Großvater zu und versuchte, meinen Rock zu entknittern. Was ich da drinnen sagen oder tun sollte, war mir völlig schleierhaft. »Sei einfach du selbst«, riet mein Großvater, als könnte er Gedanken lesen.
Bevor er den Türklopfer betätigen konnte, ging die Tür auf und ein untersetzter Mann in ausgeleiertem Pulli begrüßte uns. »Sie müssen Brownell sein«, sagte er lächelnd. Obwohl er mindestens vierzig Jahre sein musste, war sein Babygesicht völlig glatt.
Mein Großvater nahm seine Sonnenbrille ab.
»Ich bin Jeffrey«, sagte der Mann und hielt erst meinem Großvater und dann mir seine Hand hin. »Der Pfleger von Annettes Mutter. Sie ist nicht mehr reisefähig, also bin ich an ihrer Stelle gekommen. Bitte, treten Sie ein.« Er führte uns ins Häuschen. Im Wohnzimmer stand ein
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