Dead Cat Bounce
hatten, was sie zum Lachen brachte. Sie erzählte von ihren Verwandten, einem chaotischen Haufen französischer Aristokraten, Burlesque-Tänzerinnen, Restaurantbesitzern und Hippies. Ihre Eltern lebten in Kalifornien, wo sie ein Weingut besaßen, doch ihre Großmutter war in England geblieben und war selbst mit siebzig noch ein verrücktes altes Mädchen, jedenfalls hörte sich das so an. Creedence hatte vor, das Wochenende bei ihr zu verbringen.
Es war alles so anders als in Jonahs zerrütteter Familie. Er hatte seine Großeltern nie kennengelernt. Sie waren alle vor seiner Geburt gestorben, und plötzlich wurde ihm bewusst, dass er nicht einmal ihre Namen kannte.
In einer Seitenstraße der Fulham Road hielt das Taxi vor einigen viktorianischen Reihenhäusern. Jonah war enttäuscht, dass die Fahrt schon zu Ende war.
»Hier wohne ich«, erklärte Creedence. Jonah wurde verlegen, obwohl bis jetzt alles so einfach und locker gewesen war. Er überlegte noch, was er sagen sollte, als sie hinzufügte: »Wenn du noch mehr über meine chaotische Familie erfahren willst, musst du mit mir ausgehen.« Sie sah ihn fast herausfordernd an.
Jonah spürte wieder die Schmetterlinge in seinem Magen, doch es gelang ihm, sich nichts anmerken zu lassen. Er tat so, als müsste er scharf nachdenken. »Mmmm. Lass mal sehen.« Dann verzog er das Gesicht. »Ach, was soll’s. Ich lebe sowieso schon gefährlich. Wie wäre es mit Abendessen und Kino am nächsten Samstag?«, fragte er.
Creedence lachte. »Jonah Lightbody, es wäre mir ein Vergnügen.« Sie beugte sich zu ihm und küsste ihn auf die Wange, bevor sie ausstieg. »Viel Glück morgen. Vielleicht sehen wir uns ja nächste Woche bei der Arbeit.« Sie knallte die Tür zu, winkte kurz und ging auf den Eingang des Gebäudes zu.
Jonah sah ihr nach und fragte sich, was wohl hinter der geschlossenen Tür des Hauses verborgen lag. Er würde es dem Baron nie erzählen, aber er ging davon aus, dass es noch besser war als die Million Pfund, die schon bald auf seinem Bankkonto liegen würde.
23
Samstag, 13. September
Jonah musterte die Läufer, die sich neben ihm im Richmond Park warm machten. Er hatte gut geschlafen und fühlte sich ausgeruht, bereit für den Zwölf-Kilometer-Lauf, der gleich starten würde. Das Wetter war trüb und kühl, was angesichts der Tatsache, dass fast alle seine Konkurrenten größer und muskulöser waren als er, nicht ideal war. Unter schlechten Bedingungen oder auf schwierigem Gelände war Jonah immer am besten, denn dann konnte er mit einer starken Psyche körperliche Defizite wettmachen. Wenn er heute siegen wollte, brauchte er eine intelligente Strategie. Er hatte vor, schnell zu starten und seine schärfsten Widersacher weit vor der Ziellinie zu überholen. Bei einem Endspurt würde er nicht mithalten können.
Mit dem Laufen hatte Jonah begonnen, weil er einen Sport gesucht hatte, den er mit seinem Vater zusammen ausüben konnte. Nach kurzer Zeit war klar, dass Jonah gut im Laufen war, doch sein Dad wollte nicht mit ihm zusammen trainieren. David Lightbody zog es vor, allein zu laufen, und wenn der Baron den Jungen nicht dazu gedrängt hätte weiterzumachen – neben einer gesunden Ernährung und Alkoholabstinenz stand körperliche Fitness ganz oben auf der Liste mit den Dingen, die dem Baron zufolge die meisten Händler ignorierten –, hätte Jonah vermutlich aufgegeben. Aber es war gut, dass er es nicht getan hatte, denn Laufen war zu einem wichtigen Teil seines Lebens geworden. Insbesondere im dritten Jahr seiner Ausbildung hatte es ihm wirklich geholfen, denn damals hatte er sich so in seine Börsengeschäfte hineingesteigert, dass sein Vater einen Monat lang nicht mehr mit ihm geredet hatte. Für Jonah war Laufen eines der besten Mittel gegen Stress, so, wie der Baron das gesagt hatte.
Jetzt rief der Sprecher die Läufer auf. Jonah ging zur Startlinie. Es war sein erstes Rennen, seit er die Schule verlassen hatte. Seine Konkurrenten kannte er nicht und er war ohne Trainer oder Mannschaftskameraden gekommen. Er war auf sich allein gestellt.
»Auf die Plätze!«, rief der Starter. Jonah winkelte die Ellbogen an, um sich Platz zu verschaffen. »Fertig!« Er beugte die Beine noch etwas tiefer. »Los!« Er spurtete so schnell los, als würde er eine Kurzstrecke laufen, um sich noch vor der ersten Kurve der Strecke, die etwa vierhundert Meter nach dem Start kam, an die Spitze des Startfelds zu setzen. »Du schaffst das, los, schneller«, sagte er
Weitere Kostenlose Bücher