Dead - Ein Alex-Cross-Roman
erklären, wieso oder wohin dieser Güterzug eigentlich so unaufhaltsam donnerte. Bestimmt nirgendwo hin, wo ich sein wollte.
Die Fahrt hinüber zur Neunzehnten Straße, Ecke Independence Avenue, war ein Paparazzi-Alptraum, wahrscheinlich ähnlich dem, dem Prinzessin Diana und Dodi Al-Fayed in einem dunklen, unheimlichen Pariser Straßentunnel zum Opfer gefallen waren. Wir durchquerten die Stadt mit heulenden Sirenen auf diagonalem Weg in Richtung Southeast, verfolgt von einer unglaublichen Entourage. Zum Teufel, wir waren so was wie die Rattenfänger von Washington, wobei die Ratten nichts anderes im Sinn hatten, als uns zu fotografieren und die Aufnahmen dann im National Enquirer zu veröffentlichen. Falls sie darauf spekulierten, dass wir zurzeit keine Strafzettel wegen Verstößen gegen die Verkehrsregeln verteilten, dann lagen sie richtig.
Als wir am Tatort eintrafen, standen bereits sechs Streifenwagen der Metropolitan Police vor dem Haus und hatten alle Fußwege und Straßen abgesperrt.
Aber was war das überhaupt für ein Tatort? Was war hier geschehen?
Keine eindeutigen Hinweise. Wir befanden uns in einem gemischten Wohn- und Industrieviertel. Sowohl an der Neunzehnten als auch an der Independence zogen sich, an der nordwestlichen Ecke der Kreuzung beginnend, frisch instand
gesetzte Reihenhäuser entlang. Mir fiel wieder ein, dass ich über dieses Wohnprojekt mit all seinen Primärfarben und den merkwürdigen Winkeln tatsächlich etwas in der Zeitung gelesen hatte. Genau der Schuss visueller Dramatik, auf den unser Killer stehen würde. Das Dreckschwein drehte eine Art Film, oder? Speicherte alles in seinem Kopf .
Auf der anderen Straßenseite lag in die eine Richtung die neue St. Coletta School und in die andere das Armory Building. Das hier war ein riesiges Gebiet - ein gewaltiger Heuhaufen, und die Nadel, nach der wir suchen mussten, war eine Leiche. Oder, so Gott wollte, dieses Mal ein lebendiges Opfer. War das denn wirklich denkbar? Vielleicht wollte DCPK ja die Schlagzahl erhöhen?
Jetzt trafen weitere Streifenwagen ein, über ein Dutzend, ich hörte auf zu zählen. Wann würden wohl Kitz und seine Leute hier eintreffen? Wir brauchten die FBI-Techniker jetzt, brauchten jede Hilfe, die wir irgendwie bekommen konnten.
Zunächst konzentrierten wir uns auf die Wohnhäuser, klapperten jeweils in Zweiergruppen jedes Haus und jede Wohnung ab. Alles andere musste warten, auch jeder Versuch, die Menschenmenge irgendwie zu bändigen. Es herrschte schon jetzt ein viel zu großes Durcheinander - Kamerateams fingen jeden unserer Schritte ein, und das aus jedem nur möglichen Winkel.
Die Suche hatte noch gar nicht lange gedauert, da rief einer der uniformierten Polizisten: »Detectives. Hier ist was. Detectives !«
Bree und ich rannten zu der betreffenden Stelle. Das Haus war leuchtend gelb gestrichen und besaß große einfach verglaste Fenster, die auf die 19th Street hinauszeigten. Die Haustür stand sperrangelweit offen und wies rund um den Türknauf und die Schlossabdeckung zahlreiche Kratzer und Risse
auf. Es sah so aus, als sei hier erst kürzlich eingebrochen worden.
»Das reicht mir«, sagte Bree. »Hinreichender Verdacht auf einen Einbruch. Gehen wir rein.«
84
Vorsichtig traten wir ein, schweigend, begleitet von einem Polizisten aus dem zuständigen Revier, einem verängstigten Bürschchen namens DiLallo. Die anderen Uniformierten blieben draußen, um besonders unverschämte Journalisten oder wagemutige Schaulustige fernzuhalten.
Im Inneren des Hauses herrschte vollkommene Stille. Die heiße Luft war stickig und verbraucht - keine offenen Fenster, keine Klimaanlage. Die Inneneinrichtung war modern, genau wie die Fassade. Im Wohnzimmer zu meiner Linken stand ein Liegesessel, der dem legendären Eames-Lounger nachempfunden war, im dahinterliegenden Esszimmer ein rot lackierter Tisch sowie etliche Stühle mit Stahlgeflecht. Noch kein Anhaltspunkt für ein Verbrechen, aber ich spürte, dass hier irgendetwas geschehen war.
Bree wies mit dem Kopf nach links - sie würde das Wohnzimmer übernehmen - und bedeutete dem Streifenpolizisten, wieder zurückzugehen, vermutlich in die Küche.
Ich nahm die Treppe.
Sie bestand aus scheinbar frei schwebenden Massivholzstufen mit einem Eisengeländer und ließ unter meinen Tritten nicht das geringste Geräusch ertönen. Es war zu still im Haus - totenstill , musste ich unwillkürlich denken, und ich bekam Angst vor dem, was wir hier finden würden.
Waren wir
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