Dead End: Thriller (German Edition)
Nick verknallt. Dann blickte sie auf die Tabelle auf ihrem Schreibtisch hinunter.
»Ich habe hier eine Liste von neunzehn Studenten, die sich in den letzten fünf Jahren das Leben genommen haben«, sagte sie. »Bryony Carter wäre die Zwanzigste gewesen. Jetzt haben wir außerdem noch neun Selbstmordversuche.«
»Ich hab allmählich gar kein gutes Gefühl bei dieser Geschichte«, meinte Nick.
»Willkommen im Club.«
Draußen war der Abend sogar noch kälter geworden. Ich schlug den Kragen hoch, wickelte mir meinen neuen Collegeschal um Mund und Nase und machte mich auf den Weg. Ich wollte zum Schauplatz des ersten Selbstmordes in diesem Studienjahr. Ende Oktober hatte Jackie King sich unter einer Brücke ertränkt, die zum Clare College gehörte. Sie hatte Englisch studiert, im sechsten Semester.
Die Brücke war aus hellem Mauerwerk, mit drei Bögen, damit die Boote darunter hindurchfahren konnten. Als ich sie erreichte, hatte ich mittlerweile ernsthafte Bedenken wegen meiner E-Mail an Joesbury. Wahrscheinlich hätte ich nicht so einen vertrauten Ton anschlagen sollen. Irgendwie war es einfach leichter, mit ihm zu reden, wenn er nicht in der Nähe war.
Die ganze Brücke schimmerte vor Raureif. Ich hielt mich dicht an der Steinbalustrade auf der linken Seite und blieb genau in der Mitte stehen, so wie Jackie es getan hatte. Nur hatte sie ein Stück Wäscheleine mitgebracht. Das eine Ende hatte sie an der Balustrade festgemacht, das andere hatte sie sich fest um beide Fußknöchel gebunden. Die exakte Länge des Stricks war wichtig gewesen. Sie musste das im Voraus ausgetüftelt und die Wäscheleine sorgfältig zugeschnitten haben. Ich habe keine Ahnung, was in den nächsten paar Sekunden mit ihr passiert war, ich kann nur mutmaßen.
Hier ist also meine Mutmaßung. Ich glaube, sie muss sich auf das steinerne Geländer gesetzt und die Beine darübergehoben haben. Bestimmt hatte sie hinuntergeschaut, so wie ich es jetzt tat, hatte das schwarze Wasser träge unter sich dahinfließen sehen. Sie musste gefroren haben, es war spät im Jahr gewesen. Außerdem war es gegen vier Uhr nachmittags, auf dem Weg hierher war sie von einer Überwachungskamera gefilmt worden. Bestimmt hatte sie auf das Wasser hinabgeblickt und sich gefragt, was in aller Welt sie eigentlich machte. Sie muss ernsthaft erwogen haben, es sein zu lassen und nach Hause zu gehen. Das hatte sie nicht getan. Sie war gesprungen.
Jackie, Bryony und Nicole. Drei junge Frauen, die beschlossen haben, ihrem Leben ein Ende zu machen, und zwar auf eine Art und Weise, die Evi Oliver als sehr untypisch bezeichnete. Sie hatte recht. Jeder Selbstmord – oder in Bryonys Fall Beinahe-Selbstmord – war kompliziert, wohlüberlegt und brutal gewesen. Was also geschah in dieser Stadt mit jungen Frauen?
»Neunundzwanzig Studenten, dreiundzwanzig davon Frauen, haben sich in den letzten fünf Jahren entweder umgebracht oder es versucht«, fasste Evi zusammen, während sie sich auf ihrem Stuhl zurücklehnte und versuchte, sich die Schmerzen nicht anmerken zu lassen.
»Verdammt, das sieht gar nicht gut aus, oder?«, knurrte Nick.
»Nein«, pflichtete Evi ihm bei.
Einen Augenblick lang herrschte Schweigen.
»Ich habe mich gestern mit Meg getroffen«, sagte Evi. »Sie hat eine Häufung von Suiziden erwähnt, als wir damals Studenten waren. Sagt dir das was?«
»Kann ich nicht behaupten. Da war dieser Typ, der so um die Examenszeit rum vom Turm der Great St. Mary’s Church gesprungen ist, aber sonst …«
»Nein, das ist der Einzige, an den ich mich erinnere.«
»Und mit der Polizei hast du schon gesprochen?«
Evi nickte und zuckte dann die Achseln.
»Was denn?«
»Ich glaube, ich kriege langsam ein Glaubwürdigkeitsproblem mit der hiesigen Kriminalpolizei«, sagte sie.
Nick sah sie stirnrunzelnd an. Evi trank ihren Wein aus und erzählte ihm von dem Eindringling, von den Streichen, die ihr gespielt worden waren, und von den Anrufen und den Mails von vorhin.
»Und diese E-Mails sind einfach so von deinem Computer verschwunden?«, fragte er. »Ich verstehe nichts von Computern. Geht so was überhaupt?«
Evi zog eine Grimasse.
»Machst du dir Sorgen?«
»Ein bisschen.«
»Willst du heute bei mir übernachten?«, bot er an. »Hab jede Menge freie Zimmer.«
Evi schüttelte den Kopf. »Nett von dir, aber ich glaube, da würde ich im Laufe der Nacht an Unterkühlung sterben.«
Er lachte. »Ich könnte dir ja einen Hund leihen, zum Ankuscheln, aber wahrscheinlich
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