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Dead Man's Song

Dead Man's Song

Titel: Dead Man's Song Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Troll Trollson
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Krankenhausbett, strengte seine Erinnerung an, ließ Opfer und Täter aufmarschieren, katalogisierte die Fälle nach ihren Eigenschaften, ihren typischen Merkmalen, und arrangierte sie dann alphabetisch, um wenigstens eine Ahnung von Ordnung zu schaffen. Dabei lächelte er, zufrieden damit, was für ein gescheiter Detective er war, auch wenn er sich hatte anschießen lassen - bis er durcheinander kam und wieder von vorn anfangen mußte. Schön, okay, wie viele waren es? Zehn, zwanzig? Wer kann das schon sagen, dachte er, wie gewonnen, so zerronnen. Vielleicht vierzig? Wer zählt das schon? Wer erinnert sich, wen interessiert es überhaupt, ich wurde angeschossen! Ich verdiene einen Orden oder so was allein dafür, daß ich hier bin. Zwei Orden, wenn ich sterbe.
    Ich erinnere mich an Marilyn Hollis.
    Ich erinnere mich, Marilyn Hollis geliebt zu haben. Ich erinnere mich an Gift, ich erinnere mich an diese Dreckschweine, die die große Liebe meines Lebens erschossen haben, die Marilyn Hollis getötet haben. Wenn ich in diesem Moment, in diesem Bett sterben sollte …
    Es müssen mindestens fünfzig sein, meinst du nicht?
    Mindestens.
    Laß uns tanzen, Marilyn. Marilyn?
    Möchtest du tanzen?
    Darf ich dich um diesen letzten Tanz bitten?
     
    Bryan Shanahan, der Detective, der den Mord an Martha Coleridge aufgenommen hatte, konnte keinen Hinweis darauf entdecken, daß irgend etwas aus dem Apartment der alten Lady gestohlen worden war. Daher mußte er annehmen, daß jemand eingebrochen war und etwas gesucht hatte, was er hätte stehlen können, und, als er nichts fand, sich voller Wut auf die alte Dame gestürzt hatte. So etwas passierte manchmal. Nicht alle Einbrecher waren Gentlemen. Genaugenommen war nach Shanahans Erfahrung kein einziger Einbrecher ein Gentleman.
    Er kehrte am Mittwoch nachmittag ohne seinen Partner in das Apartment zurück, erstens, weil er nicht ständig neugierige Fragen eines frischgebackenen Detectives beantworten wollte, und zweitens, weil er besser nachdenken konnte, wenn er allein war. Dies hier würde er nicht als schwierigen Fall bezeichnen, irgendein Süchtiger, der irgendwo eingebrochen und ausgerastet war. Andererseits war es aber auch kein ganz einfacher Fall, denn der Mörder - wer immer er sein mochte - hatte keinerlei Spuren hinterlassen. Keine Fingerabdrücke, keine Fasern oder Haare - die ihnen letzten Endes auch nicht viel genutzt hätten, wenn sie nicht jemanden schnappten, mit dessen Haaren sie sie hätten vergleichen können.
    Vielleicht ging er aber auch nur deshalb zurück, weil es ihn störte, daß jemand eine Lady getötet hatte, die alt genug gewesen war, um zu sterben, auch ohne daß ihr jemand dabei half. Oder vielleicht auch, weil er sich, während er Martha Coleridges Theaterstück gelesen hatte, in das Bauernmädchen verliebt hatte, das von den englischen East Midlands nach Amerika ausgewandert war. Vielleicht hatte ihr Stück ihm einen kleinen Eindruck von Alter und vom Altwerden, vom Tod und vom Sterben vermittelt. Wenn er auf die zerbrechliche alte Dame mit dem gebrochenen Genick hinunterblickte, wäre er niemals auf die Idee gekommen, daß sie mal eine unternehmungslustige und schöne Neunzehnjährige gewesen war, die in diese Stadt gekommen war und eine neue Welt außerhalb ihres Zimmers entdeckt hatte. Lange Zeit war eine Leiche für Bryan Shanahan nichts anderes gewesen als ein toter Körper. Plötzlich, nach der Lektüre von Marthas Stück, wurde aus einer Leiche ein menschliches Wesen.
    Also kämmte er noch einmal ihre Wohnung durch, diesmal allein, genoß die Einsamkeit und suchte in den Habseligkeiten der alten Dame nach dem jungen Mädchen, hielt Ausschau nach braunen Fotografien oder mit Spitze gesäumten Taschentüchern, nach Souvenirs aus Brighton oder Battersea Park. Ganz hinten in einem Fach eines ihrer Schränke fand er eine mit Seide überzogene Schachtel, in der sich vielleicht einmal Teebeutel befunden hatten. Der Stoff war verblichen und zerschlissen, der kleine Verschluß gefährlich lose und drohte jeden Moment abzubrechen. In der Schachtel lagen Briefe, mit einem verblichenen roten Band zusammengebunden. Er löste die Schleife und begann zu lesen.
    Die Briefe waren von jemandem namens Louis Aronowitz geschrieben worden. Die Tinte hatte sich im Laufe der Jahre braun verfärbt, und das Papier war brüchig geworden. Shanahan hatte Hemmungen, die Blätter auseinanderzufalten, weil er befürchtete, daß das Papier dann genauso leicht zerbrechen

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