Dead Man's Song
würde wie das Genick der alten Dame. Die Briefe waren alle im Jahr 1921 geschrieben worden, zwei Jahre, nachdem Louis aus dem Krieg nach Amerika zurückgekehrt war, und ein Jahr, nachdem Martha von Southampton nach Amerika aufgebrochen war. Sie dokumentierten eine Liebesaffäre, die im April des Jahres begonnen hatte und im Dezember, kurz vor Weihnachten, beendet war. Martha hatte Schluß gemacht. In einem Brief vom 21. Dezember, in dem er sich auf eine Bemerkung von ihr bezog, schrieb Aronowitz: »Wie kannst Du sagen, daß Du keine Zukunft in einer Beziehung zwischen einem christlichen Mädchen und einem Juden siehst? Ich liebe Dich! Das ist die Zukunft, mein Liebling!« Sein letzter Brief war am Silvesterabend geschrieben worden. Er teilte ihr mit, daß er nach Berlin zurückkehren würde, wo seine Eltern geboren waren und wo »ein Jude sich Jude nennen darf, ohne Angst haben zu müssen, anders beurteilt zu werden als jeder andere Mensch. Ich werde Dich immer lieben, Martha. Ich werde Dich bis zu meinem Tod lieben.«
Es war eindeutig, daß die Briefe die Grundlage der Liebesgeschichte bildeten, die Martha im darauffolgenden Jahr in ihrem Theaterstück beschrieben hatte. Aber neben ihrer herzzerreißenden Schilderung einer zum Scheitern verurteilten Liebe gab es dort auch noch die Geschichte von einem jungen Mädchen, das ein neues Leben in einer großen und aufregenden Stadt findet: die Welt jenseits der Fenster ihres kleinen Zimmers. Shanahan schloß behutsam den Deckel der brüchigen, verblichenen Schachtel. Er hatte nichts gefunden, was ihm hätte einen Hinweis darauf geben können, wer die alte Dame getötet hatte.
Aber da war noch ein anderer Brief.
Er fand ihn in einem Ordner mit bezahlten Rechnungen. Der Brief war mit Maschine geschrieben. Shanahan setzte sich in einen Sessel unter eine Lampe mit einem mit Troddeln behangenen Schirm und las im schwindenden Licht des Nachmittags:
Mein Name ist Martha Coleridge, Autorin eines Theaterstücks mit dem Titel Mein Zimmer , das ich im Jahr 1922 schrieb und das im September desselben Jahres für eine Woche im Little Theater Playhouse am Randall Square aufgeführt wurde. Ich lege eine Kopie des Programmzettels bei. Gleichzeitig lege ich auch eine Kopie des Textes zu Ihrer Verwendung bei. Ich kenne Ihre jeweiligen Adressen nicht, daher schicke ich all dies an Mr. Norman Zimmers Büro zur Weiterleitung.
Ich habe vor kurzem einem Artikel in Daily Variety , dem Magazin für Theater und Film, entnommen, daß mit der Produktion eines Musicals, das auf einem Theaterstück mit dem Titel Jennys Zimmer basiert, begonnen wurde, das in der nächsten Saison auf die Bühne kommen soll. Ihren Namen fand ich in der Liste derer, die in irgendeiner Form an der Produktion dieses Stücks beteiligt sind.
Ich möchte Ihnen zur Kenntnis bringen, daß ich im Jahr 1923, als das Stück Jennys Zimmer mit großem Erfolg öffentlich aufgeführt wurde, seiner angeblichen Autorin, einer Miss Jessica Miles, schrieb und sie warnte, daß ich sie wegen Plagiats anzeigen würde, falls ich nicht angemessen für das Werk entlohnt würde, auf das ihr Stück sich stützte, nämlich mein Theaterstück, dessen Text Sie als Anlage finden. Sie hat nie auf meinen Brief geantwortet, und ich hatte zum damaligen Zeitpunkt weder die Mittel noch die Möglichkeiten, die Angelegenheit weiterzuverfolgen.
Nachdem ich jedoch den Bericht in Variety gelesen habe, habe ich mehrere Anwälte konsultiert, die großes Interesse bekunden, den Fall gegen ein Erfolgshonorar anzunehmen und weiterzuverfolgen. Ich wende mich an Sie alle in der Hoffnung, daß Sie sich bereit finden werden, einzeln oder gemeinsam die wahre Schöpferin des Werks, mit dem Sie sich in den kommenden Wochen und Monaten beschäftigen werden, angemessen zu entlohnen. Andernfalls sehe ich mich leider gezwungen, eine gerichtliche Lösung herbeizuführen.
Für Ihre Aufmerksamkeit bedanke ich mich auch im Namen der Kunst, die unser aller Leben so sehr bereichert.
Herzlichst,
Martha Coleridge
Autorin
Martha Coleridges Brief war am 26. November geschrieben worden, dem Tag nach Thanksgiving. Angeheftet war ein Einschreibezettel vom 27. November. Es gab eine weitere Quittung mit demselben Datum von Mail Boxes, Etc. die das Päckchen an Norman Zimmer geliefert hatten. Ein gesonderter Zettel mit seiner Postadresse war an eine Liste von Namen und Adressen geheftet, an die weitere Kopien des Materials geschickt werden sollten. Die Namen auf der Liste
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