DEAD SEA - Meer der Angst (German Edition)
gar nichts sagen. Denn er hatte es gesehen, er hatte einen winzigen Bruchteil von Forbes’ letzten Momenten körperlich miterlebt, und das ließ ihn zitternd mit einer Angst zurück, so groß und allumfassend, dass sie einen Augenblick lang alles andere auslöschte – auch seinen eigenen Geist. Er stand da, klammerte sich an Fabrini, und für ein paar wahnsinnige Momente schien sein Geist leer wie eine geputzte Wandtafel. Er wusste nicht einmal mehr, wer er war und wo er sich befand. Und dann kam alles zurückgerauscht, und es nahm ihm den Atem und ließ seine Schläfen pulsieren.
Was war das denn gerade gewesen?
Leblose Knochen konnten doch niemals solche Bilder in seinen Geist schicken. Auf so etwas durfte Cook sich nicht einlassen. In diese Richtung durfte er nicht denken. Bleiche gelbe Knochen, die nach all den Jahren noch über so etwas wie ein vages, animalisches Gedächtnis verfügten, eine Reflexion, das Echo eines Grauens, das jegliche menschliche Erfahrung überstieg – war so etwas möglich? Oder gab es eine noch weitaus schlimmere Antwort? Existierte etwa eine telepathische Verbindung zum Geist dieses Wesens, zu dessen Bewusstsein, das ihm einen winzigen Einblick in das gewährte, was ihm bevorstand? Was ihnen allen bevorstand?
»Mein Gott«, keuchte Fabrini. »Ist alles okay?«
Cook nickte. »Es muss an der schlechten Luft hier drin liegen. Mir ist wohl schwindlig geworden. Es ... es geht schon wieder.«
Und vielleicht glaubte ihm Fabrini, vielleicht auch nicht.
Aber er stützte Cook, als sie diese Katakomben verließen und hinauf an Deck gingen, wo die Luft eine Spur sauberer und frischer zu sein schien. Selbst der Nebel wirkte nach dem, was sie dort unten erlebt hatten, nicht mehr so bedrohlich.
Nach einer Weile fragte Fabrini: »Sollen wir zurück aufs Boot gehen?«
»Wenn du willst.«
Aber Fabrini schüttelte den Kopf. »Sehen wir uns noch ein bisschen um.«
Offensichtlich hatte das, was in Cooks Kopf eingedrungen war, Fabrini in Ruhe gelassen. Sein Eifer, das Schiff zu erkunden, hatte nicht nachgelassen. Oder es hing mit dem langen Eingesperrtsein in der Enge des Rettungsboots zusammen. Da war ihm sogar ein Totenschiff lieber, auf dem man nicht wusste, welche neuen Schrecken hinter der nächsten Ecke lauerten.
Und Cook dachte: Natürlich, Fabrini hat jetzt eine Mission. Und alles, sogar dieses verdammte Schiff, ist besser, als hilflos im Rettungsboot zu warten.
Sie betraten ein Deckhaus achtern und nahmen den Niedergang nach unten. Hier wuchsen nicht so viele Pilze, sehr wenige eigentlich nur. Deutlich bessere Luft, auch wenn die Dunkelheit genauso klaustrophobisch erschien. Schließlich gelangten sie in den Maschinenraum, ein riesiges Gewölbe, fast wie ein Amphitheater, mit gewaltigen Dampfturbinen und den dazugehörigen Arterien aus Schläuchen, Ventilen und Rohren. Schwarzes, schmutziges Wasser stand einige Zentimeter hoch auf dem Boden.
»Ich würde sagen, der läuft nicht mehr«, sagte Fabrini.
»Ich würde sagen, du hast recht.«
Sie lachten leise über ihren kleinen Scherz und schoben sich an den Turbinen und Kolben vorbei. Fabrini erzählte Cook, wie sehr er sich darüber ärgerte, dass er damals nicht seinem ersten Impuls gefolgt war und Saks gesagt hatte, er könne sich den Job in den Hintern stecken. Denn ehrlich gesagt hatte er schon von Anfang an gespürt, dass mit der ganzen Sache etwas nicht stimmte, er konnte nur nicht genau festmachen, was.
Im Licht der Petroleumlampe erreichten sie einen Raum, der wohl einst als Lager gedient hatte, und dort erblickten sie noch mehr Tod.
»Scheiße«, sagte Fabrini.
Eine treffende Zusammenfassung. Gut ein Dutzend Skelette lag dort zu einer einzigen Knochenmasse zusammengeworfen, als habe man sie aus einem Massengrab ausgebaggert. Aber es waren nicht die vielen Schädel und Brustkästen und die aus dem Gewirr ragenden Beinknochen, die sie erstarren ließen, sondern das, was sich auf ihnen befand .
Kriechende, zuckende, schnurrende Lebewesen.
Zuerst dachte Cook, er sehe lebende Gehirne, Gehirne mit dazugehörigen Wirbelsäulen, die zwischen den Knochen, dem Moder und dem öligen Wasser umherkrochen wie etwas aus einem alten Horrorfilm aus den 50ern. Aber das konnte nicht sein, denn sie hatten Köpfe so groß wie Dessertteller, ganz flach und mit langen, gegabelten und mit Flimmerhärchen besetzten Schwänzen verbunden. Prall und bleich gaben sie brummende Laute von sich, die sehr dem Schnurren eines Kätzchens glichen.
Sie
Weitere Kostenlose Bücher