DEAD SEA - Meer der Angst (German Edition)
davon.«
Soltz verengte die Augen und sah es wieder vor sich. »Ein seltsames Schiff, ein großes Schiff. Aber kein modernes Schiff. Eins von diesen alten, vielleicht eine Bark oder ein Piratenschiff – ja, das ist es, ein Piratenschiff . Mit hohen Masten ... aber die Segel waren zerlumpt und voller Löcher, grau und schlaff. Ich hörte es im Nebel, wie es knarrte und ächzte und der Wind durch die zerrissenen Segel pfiff – und dann kam es heraus, und ich konnte es sehen. Es hatte so ein merkwürdiges Leuchten, wissen Sie? Männer standen an der Reling, und auch sie waren zerlumpt. Tote Männer ... Geister ... Skelette. Sie sahen aus wie Skelette – ist das nicht seltsam? Wie Skelette.«
Gosling seufzte. Das gefiel ihm nicht. »Ein Geisterschiff? Ist es das, was Sie sagen wollen?«
»Ja ... ich glaube, wohl. Es fuhr an uns vorbei und verschwand im Nebel.« Er kniff die Augen zusammen und legte den Kopf auf die Seite. »Es fuhr an uns vorbei, und da stand eine Frau an Deck ... eine Frau. Sie hat mir zugewinkt. Und wissen Sie was, Gosling?«
»Was?«
»Sie hatte keine Augen.«
Gosling bekam eine Gänsehaut. Beim Gedanken an das, was Soltz gesehen hatte, lief es ihm kalt den Rücken herunter, aber Soltz selbst schien es nichts auszumachen. Und das war vielleicht sogar das Schlimmste daran. Als ob sein Verstand sich langsam verabschiedete und an einen Punkt kam, an dem er Angst und Gefahr nicht mehr erkannte.
»Legen Sie sich hin, Soltz, Sie brauchen etwas Ruhe.«
Soltz nickte. »Was ... nein, das war nur wieder meine Fantasie. Ich dachte, ich hätte es wieder gehört, das Knarren und Ächzen, das Geräusch von Füßen an Deck, die hin und her laufen, hin und her laufen ...«
»Legen Sie sich hin«, wiederholte Gosling.
»Ich habe es nicht wirklich gesehen, oder?«
Gosling schüttelte den Kopf, aber tief im Inneren war er gar nicht so sicher. Er fragte sich, was als Nächstes aus dem Nebel kommen mochte, und wenn es ein Geisterschiff war, ob es auch wie ein Geist wieder verschwand – oder auf sie zuhielt.
6
Fabrini schien es besser zu gehen, nachdem er seine Ängste offen eingestanden hatte.
Es hätte Cook nicht gewundert, wenn er so schnell wie möglich vom Schiff geflohen wäre, aber so eilig hatte er es dann wohl doch nicht. Als sie wieder auf das Hauptdeck hinunterstiegen, blieb er sogar stehen.
»Weißt du was, Cook? Weißt du, was ich mir überlegt habe?« Er wirkte nicht länger verängstigt, nur wütend. »Ich hab mir überlegt, dass ich die Schnauze voll davon habe, mich die ganze Zeit mit eingekniffenem Schwanz in eine Ecke zu verkriechen. Mir reicht’s. Ich bin doch eigentlich nicht der Typ, der sich wegen Gespenstergeschichten in die Hosen macht. Wenn das, was die Besatzung hier geholt hat, mich auch haben will, soll es doch kommen. Denn, bei Gott, ich werde es ihm nicht leicht machen!«
»Eine gute Einstellung«, nickte Cook. »Beim Lesen des Logbuchs habe ich mir auch ein paar Sachen überlegt.«
»Was für Sachen?«
»Na ja ... mag sein, dass ich mich irre, aber was, wenn Crycek recht hat? Was, wenn diese Kreatur unsere Angst braucht, sich davon ernährt? Was ist, wenn sie durch Paranoia und Angst stärker wird? Könnte doch sein, oder? Ich weiß nicht, aber wenn wir ihm unsere Angst nicht zeigen, schwächen wir es womöglich.«
»Klingt vernünftig. Zeigen wir diesem Scheißer, aus welchem Holz wir geschnitzt sind. Komm, wir sehen uns mal ein bisschen um.«
Das traf Cook relativ unvorbereitet, aber er nahm es hin, wie er alles hinnahm – mit unbewegter Miene. Sie fanden eine Luke und gingen unter Deck, hinab in die feuchte Dunkelheit. Und dort unten, in den Schatten und dem Gestank, war es dann doch nicht mehr ganz so einfach, mit mutgeschwellter Brust voranzuschreiten. Denn wenn die Atmosphäre oben schon abstoßend gewesen war, so erschien sie hier unten durch und durch widerlich.
Im Schein der Petroleumlampe erforschten sie die labyrinthischen Gänge unter Deck. Cook hatte damit gerechnet, dass es dort unten übel wurde, und er behielt recht. In der Luft hing ein abscheulicher, Brechreiz erregender Gestank, noch schlimmer als der Geruch der Algen und des Meers. Ein modriger, erstickender Geruch nach süßlicher Fäulnis und giftiger Verwesung. Wie etwas Feuchtes und Schimmeliges, das eingesperrt in einem warmen Schrank in seinem eigenen Saft vor sich hin schmorte. Eine bizarre Kombination aus organischem Verfall und rostigen Maschinen, aus brackigem Wasser und fauligem Holz
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