DEAD SEA - Meer der Angst (German Edition)
umringt von einer riesigen albtraumhaften Medusa wie eine Münze in einem Nest aus Seegras.
Und gebrochen wurde dieses schwere, bleierne Schweigen schließlich von Soltz.
Er ächzte und stöhnte und stieß ein feuchtes Keuchen aus. Seine Lippen teilten sich mit einem trockenen Schmat zen. Sein Gesicht war schweißüberströmt, und sein unverbundenes Auge blickte glasig und milchig. »Wasser«, krächzte er. »Ich brauche ... Wasser ... brauche Wasser ... einen Schluck ... Wasser ...«
Und George – obwohl er wusste, dass der Mann krank war – hätte ihm am liebsten einen Knebel in den Mund gestopft, ihm gesagt, er solle die Klappe halten. Denn der monotone, dumpfe Klang seiner Stimme weckte die Aufmerksamkeit der Qualle. Ihre Tentakel vibrierten, als könnte sie es hören. Am Rand ihres Schirms befanden sich Fächer von farblosen Flimmerhärchen, die aussahen wie zu lange gekochte Spaghetti. Zuvor hatten sie schlaff herabgehangen und sich nur mit einem schwachen Wiegen bewegt, so ähnlich wie Seegras in der Strömung, doch nun zitterten und zuckten sie. Möglicherweise konnte die Qualle nicht hören, wohl aber die von Schall verursachten Vibrationen spüren.
Cushing bewegte sich, und ein halbes Dutzend Tentakel zuckten, als hätten sie sich erschreckt.
»Bleiben Sie sitzen, verdammt!«, zischte Gosling. »Sie weiß, dass wir hier sind, nur nicht genau, wo ...«
Soltz bewegte sich. Zitternd richtete er sich ein Stückchen auf, und die Decke rutschte ihm auf die Knie. Er befand sich im Bug des Floßes, die Tentakel der Qualle nur Zentimeter von ihm entfernt im Wasser.
Seine Bewegungen ließen die Fangarme erzittern. Sie wechselten ihre Farbe von Blassweiß zu einem grellen Neongelb. Die meisten lagen bewegungslos im Wasser, aber ungefähr ein Dutzend oberhalb der Wasseroberfläche rollten sich träge zusammen wie Schlangen. Und nicht nur die Tentakel wechselten die Farbe, auch der Schirm der Qualle tat es. Schon beim ersten Anblick des Biestes hatte George gedacht, dass der Schirm seltsam künstlich wirkte, wie ein gestürzter Wackelpudding. Eine perfekt kreisrunde Masse aus transparentem Gelee, tief genug, um darin zu ertrinken, überzogen mit einer gummiartigen Membran wie eingefettetes Zellophan. Und jetzt wechselte sie auch die Farbe. Von sattem Purpurrot zu leuchtendem Pink und dann Hellrot und Orange und Indigo – ähnlich einem Ölfilm auf Wasser.
»Warum macht sie das?«, fragte George leise.
»Chromatophoren«, antwortete Cushing ebenso leise. »Farbzellen ... entweder kann sie ihre Pigmentierung kontrollieren oder sie reagiert auf Stimmungsschwankungen wie ein Tintenfisch.«
Aber George war sich da nicht so sicher.
Er dachte etwas viel Verrückteres: Konnte es nicht sein, dass sie auf ihre Stimmen reagierte? Auf die schwachen Vibrationen, die sie hervorriefen? Nur wenn sie sprachen, nahm der Schirm diese Färbung an. Was, wenn die Qualle – großer Gott – intelligent war und mit ihnen zu kommunizieren versuchte?
Das schien ein noch grauenvollerer Gedanke als alles zu sein, was er sich bisher ausgemalt hatte. Die Vorstellung eines zwar furchterregenden, aber dummen Raubtiers zog er der eines vernunftbegabten Räubers eindeutig vor. Denn wenn das Biest einen intelligenten Verstand besaß, dann war es nur eine Frage der Zeit, bis es herausfand, wie es sie aus dem Floß holen konnte.
Ganz übel. Was sie bisher erlebt hatten – der Riesenaal, der das Floß angriff, diese bizarre Rochen-Fledermaus –, hatte George schon schlimm gefunden, aber das hier kam ihm noch weitaus schlimmer vor. Es war eine Sache, wenn man sich wehren konnte, egal wie ekelerregend der Gegner auch sein mochte – aber nichts anderes tun zu können, als herumzusitzen und zu warten, während das eigene Gehirn sich auf den Kopf stellte wie ein Kreisel und einem all die unerfreulichen Einzelheiten des bevorstehenden Todes zeigte ... ja, das war wirklich schlimm. Das war die Sorte von »schlimm«, die einem tief ins Innerste griff und die Eingeweide herausriss, bis nichts zurückblieb als ein gähnender Hohlraum in einem leeren Fass.
Jemand muss etwas unternehmen, dachte George, sonst dreh ich gleich durch.
Und wahrscheinlich stand er schon kurz davor, standen sie alle kurz davor, aber noch hielt er es in Schach, so gut er konnte. Er fühlte sich feige, krank und verängstigt. Sehr verängstigt. Wie auch nicht – wenn man dort in der nebligen Stille wartete und sich wie ein Verurteilter kurz vor der Hinrichtung fühlte,
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