DEAD SEA - Meer der Angst (German Edition)
ließ.
Und dann versank er, atmete Wasser ein, und langsam, ganz langsam, wurde alles grau. Er sah nichts als Tentakel und Qualle; abgerissene Stücke der Kreatur trieben überall zwischen den hektischen Bläschen. Und dann lag plötzlich alles still da. Absolut ruhig. Kein Geräusch, keine Bewegung. Nur die friedliche, behagliche Dunkelheit, die alles und jeden verschluckte.
Er spürte, wie er tiefer sank.
Spürte, wie er noch einmal die Oberfläche durchbrach und dann für immer unterging.
Und dann nichts mehr.
Die Männer im Floß beobachteten das alles mit betäubtem, elendem Entsetzen. George schaute zu, wie Soltz ein letztes Mal an die Oberfläche kam. Der Verband um sein verletztes Auge hatte sich gelöst und es glotzte rot und leuchtend und voller Blut. Das Auge schien sich auf ihn zu richten, ihn festhalten zu wollen, dann versank es in diesem schäumenden, schmutzigen Meer wie eine sterbende Sonne.
Das war das Letzte, was sie von Soltz sahen.
10
Als Saks zurückkam, schlief Fabrini in seiner Koje. Aber Cook saß hellwach da und versuchte, seine Gedanken zu ordnen. Gar keine so leichte Aufgabe. Saks kam herein, sein feistes Gesicht dreckverschmiert, als sei er unten im Maschinenraum herumgekrochen.
»Ist Crycek wieder da?«, fragte Cook.
Saks schüttelte den Kopf. »Hab ihn nicht gesehen. Menhaus ist ihn suchen gegangen.«
»Er wird ihn schon finden.«
Cook wartete auf Saks’ typische Antwort, irgendeine Anspielung auf Homosexualität, aber es kam nichts. Nichts darüber, dass seine Mutter es mit ganzen Footballteams trieb oder sein Vater Schweine fickte. Nichts dergleichen. Saks stand lediglich schweigend da, mit einem merkwürdigen Blick in den Augen.
»Hast du was gefunden?«, fragte Cook.
»Nicht viel. Dieser Pilz ist überall. Hab unten ein paar Skelette gefunden, aber deren Besitzer sind schon lange tot.«
Saks hatte auch die Kombüse entdeckt. Das Besteck sei verdreckt, sagte er, aber benutzbar, die Nahrungsmittel seit Ewigkeiten verrottet. Pilz hatte die Säcke mit Mehl und Zucker befallen, ebenso die Wasserfässer und das Brot. Aber er hatte einige versiegelte Behälter mit Pökelfleisch gefunden.
»Glaubst du, es ist noch genießbar?«
»Kann sein«, antwortete Saks. »Aber ich weiß nicht, ob ich mir das Zeug in den Mund stecken will.«
»Sonst noch was?«
»Ratten.«
»Ratten?«
Saks nickte. »Ich hab sie nicht gesehen – aber ich konnte ihr Kratzen in den Wänden hören.«
Danach ging Saks in seine Kabine, noch immer mit diesem merkwürdigen Ausdruck in den Augen, und Cook wusste, dass etwas im Busch war. Entweder hatte er etwas gesehen oder etwas getan, oder er hatte vor, etwas zu tun. Aber eigentlich interessierte es Cook nicht sonderlich.
Nach Saks’ Abgang verriegelte er die Kabinentür und rollte sich in seiner Koje zusammen. Er hatte eine nicht allzu verschimmelte Matratze. Mit einer der wasserdichten Decken vom Rettungsboot deckte er sich zu. Er dachte an Wände, hinter denen es scharrte, und an Ratten und schlief sofort ein. Er träumte von Gespenstern.
11
Eine halbe Stunde nachdem Soltz untergegangen war, hatte noch niemand im Floß ein Wort gesagt. Nach allem, was sie gerade miterlebt hatten, schienen ihnen die Worte zu fehlen, oder sie hatten einfach nur Angst vor ihren eigenen Worten. An wen sie diese richteten. Wem sie die Schuld gaben. Deshalb hielten sie Schweigen für das Beste.
Die Qualle war zusammen mit Soltz verschwunden, aber kurz darauf zurückgekehrt.
Sie kam dem Floß nicht mehr so nahe wie zuvor, sondern trieb ein Stück voraus in dieselbe Richtung wie sie. Der Schirm blieb fast vollständig unter Wasser, aber hin und wieder hob er sich, um sofort wieder zu versinken. Doch selbst aus dieser Entfernung – etwa 30 Meter, genau da, wo der Nebel alles verschluckte – nahmen sie ihre Tentakel überall im Wasser wahr. Ein langer Strang von ihnen streckte sich um und hinter das Floß und flatterte in der tot geborenen Strömung wie eine Mähne. Sie waren Gefangene.
Und diese Vorstellung schien fast ebenso qualvoll, wie Soltz in der Umarmung des Seeungeheuers beim Sterben zuzusehen.
Fast.
»Und was jetzt?«, hörte George sich sagen, obwohl er es eigentlich nur hatte denken wollen, so wie er es nun schon seit Tagen dachte.
Gosling blickte mit zusammengekniffenen Augen zur Qualle. Im Moment besaß sie große Ähnlichkeit mit einem riesigen Plastikmüllsack, wie sie da so platt und faltig lag, gar nicht mehr glatt und straff wie vorher. Georges
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